Eine TV-Studie wird ignoriert

Medientagebuch Der Journalist Bernd Gäbler hat untersucht, welche Werte die populärsten deutschen Fernsehsendungen vermitteln. Seine Ergebnisse hätten mehr Aufmerksamkeit verdient
Stell Dir vor einer spielt Diktatur, und alle wollen dabeisein. Dieter Bohlen hat das geschafft
Stell Dir vor einer spielt Diktatur, und alle wollen dabeisein. Dieter Bohlen hat das geschafft

Foto: Peter Wafzig/Getty Images

Schon merkwürdig, dass Medienkritiker oft am lautesten aufschreien, wenn eine Studie einen Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Verhalten – Ego-Shooter und Amokläufe, Internet und Allgemeinbildung – aufzuzeigen sucht. Das Wissen über oder wenigstens der entschiedene Glaube an diesen Zusammenhang finanziert schließlich die meisten Zeitungen und Fernsehsender: Kein Unternehmen würde fünfstellige Summen für Inserate, Werbespots oder Product Placement ausgeben, wenn diese keinen Einfluss auf das Verhalten des Publikums nähmen.

Die Wirkung von Medieninhalten steht in Bernd Gäblers Studie Hohle Idole (verfasst im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung) am Anfang aller Überlegungen. Fernsehen sei, schreibt der Autor, eine „Schule des sozialen Lernens“ – also sollte man sich besser genau ansehen, welche Werte die populärsten Unterhaltungssendungen vermittelten. Es geht um Deutschland sucht den Superstar, Germany’s Next Topmodel und Natürlich blond, genauer gesagt darum, so Gäblers Untertitel: „Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht“.

Der Autor hat nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Post-Production im Blick, wenn er auf Schnitt und sonstige Nachbearbeitungen von einzelnen Szenen, kurz: auf die Gemachtheit ihrer Realität eingeht. Ein wenig stärker hätte er jedoch die ästhetische Analyse gegenüber der ethisch-moralischen gewichten können – „Kooperation, Solidarität und Gerechtigkeit“ stellt er als „wichtige Werte“ vor; Anpassung, Kommerzialisierung und Reduktion aufs Körperliche goutiert er erwartungsgemäß wenig; er wäre zu ähnlichen, aber womöglich handfesteren Ergebnissen gelangt.

Ob die berufliche Unsicherheit der heutigen Jugend zuerst da war und dann die Sendungen entstanden, die sich ihrer annahmen, oder vice versa – das will und kann Gäbler selbstredend nicht beantworten. Er kann nur auf den Geldwert dieser Aufmerksamkeitsökonomie hinweisen und die Modelle analysieren, denen Bohlen, Klum und Katzenberger als Werbegesichter dienen. Auch da bleibt er sich vorsichtig: Die undurchsichtigen Regeln der Castingshows und deren Anpassungsdruck erinnerten an einen „Staat der absolutistischen Willkür“, schreibt er. Ach, wenn es nur das wäre! Denn nimmt man die permanente Überwachung, die fehlende Gewaltenteilung (die Legislative von GNTM ist die Judikative ist die Exekutive ist Heidi Klum), das Spitzeltum, die Demontage der bürgerlichen Freiheiten, die quasi-militaristischen Übungen und die Verunortung (auf den Malediven oder in der „Modelvilla“) hinzu, dann wären damit die Merkmale eines totalitären Regimes verblüffend exakt benannt. Klum und Bohlen spielen nicht Monarchie. Sie spielen Diktatur. Der Totalitarismus feiert im Fernsehen fröhlich Urständ, und eine ganze Generation will unbedingt dabei sein. Mit Zukunftsangst allein dürfte sich das kaum mehr erklären lassen.

Wäre Bernd Gäbler etwas deutlicher geworden, würde seiner Studie vielleicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdient. So aber findet man aktuell nur ein paar Interviews mit ihm und Vermeldungen der zentralen Thesen. Statt diese zu diskutieren, scheinen sie vielen Online-Medien jedoch allererst dazu zu dienen, den eigenen banalen Bohlen- oder Klum-Content per Verlinkung zu bewerben. Um dem zu entkommen und tatsächlich eine Debatte in Gang zu setzen, muss man offensichtlich härtere Geschütze als den Vorwurf einer absolutistischen Willkürherrschaft auffahren.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

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