Einfach locker und irre liberal

Medientagebuch Differenzen lösen sich in Witz und Wohlgefallen auf und das ist gut so: Multikulti-Comedy in der ARD

Um die vermeintlich drängendste Frage gleich zu Beginn zu beantworten: Die neue, bislang auf zwölf Folgen angelegte ARD-Vorabendserie Türkisch für Anfänger ist eine durchaus gelungene "Multikulti-Comedy". Keine verklemmte politische Korrektheit hat am Drehbuch mitgeschrieben, Bekehrungen in die eine oder andere Richtung sind zurückhaltender Natur; jeder kriegt sein Fett ab, jeder darf mal Recht haben mit seinen Ideen vom richtigen Leben.

Drehbuchautor Bora Dagtekin, der bereits für die RTL-Serie Schulmädchen verantwortlich zeichnete (die FAZ mag ihm das verzeihen, anderen fällt das schwer), hat eine schwere Nachfolge angetreten. Denn die ARD-Serie Berlin Berlin und deren Hauptdarstellerin Felicitas "Lolle" Woll scheinen jetzt schon legendär. Die Machart von Türkisch für Anfänger erinnert denn auch ein wenig an den erfolgverwöhnten Vorgänger: Erzählerin ist die durchweg sympathische, 16-jährige Lena (Josefine Preuß), die aus dem Off das Geschehen kommentiert.

Das Geschehen: Lenas Mutter, eine Psychotherapeutin, zieht mit ihrem Freund, dem Kripo-Beamten Metin zusammen. Wenn das nur so einfach wäre: Jeder der beiden bringt zwei Kinder mit in die jetzt gemeinsame Wohnung. Metin seinen Macho-Sohn Cem ("Hau rein, desperate housewife" lautet sein täglicher Spruch, wenn Doris dem 17-Jährigen sein Pausenbrot reicht) und seine ach so streng Islam-gläubige Tochter Yagmur, die bereits in der zweiten Folge in die Türkei flüchten wollte; Deutschland wiederum wird vertreten von Doris, Lena und deren Bruder, dem verhaltenen Nils.

Metin und vor allem Doris sind irre liberal; am glücklichsten über ihre angewandte antiautoritäre Erziehung scheint stets Doris selbst zu sein. "Vor vier Uhr seid ihr nicht zuhause!", befiehlt sie mit sturem Vertrauen auf deren Verantwortung den beiden Mädchen, als sie in die Disco gehen. Auch um dem nervösen Metin zu beweisen, dass sie sich absolut und überhaupt gar keine Sorgen macht.

Lena kehrt volltrunken nach Hause, Doris findet´s noch am Frühstückstisch ausgesprochen lustig, so locker ist sie. Ihr Lachen hallt dämonisch nach, als sich Lena vor den hämischen Blicken ihrer neuen Familie flüchtet. Vor dem Spiegel erschrickt sie: Das bauchfreie Outfit hat genug Raum gelassen, damit Dutzende Jungs ihre Telefonnummern auf Lenas reichlich blanke Haut notierten. Stiefschwester Yagmur tröstet: "Du kannst ja nichts dafür, dass du so modern erzogen bist". Und rät zum Koran: "Mich hat zumindest noch nie jemand als Telefonbuch benutzt."

Moderne Eltern haben´s leicht, moderne Kinder dafür umso schwerer. Die Modelle der Erwachsenen taugen alle nichts, die Revolte ebenso wenig: Sowohl Lenas permanenter, klischeegewürzter und gewitzter Konter gegen die neue Familie wie auch Yagmurs nicht weniger kindisch verzweifelte Versuche, einen Kopftuch-Koran zu leben, scheitern, weil sie einseitig und unbedacht sind - Rollen eben, die auch mal ausprobiert werden wollen auf der Suche nach der eigenen Position im bedrohlich sich nähernden postpubertären Zeitalter.

Der Pressetext beschreibt das so: "Während Lena versucht, sich dem Familienzusammenwachsen weiterhin trotzig zu widersetzen, muss sie insgeheim irgendwann zugeben: So eine zusammengewürfelte Großfamilie hat durchaus auch ihre guten Seiten." Am Ende sind alle immer wieder überzeugt von der vollständigen Familie und dem ironischen Bewusstsein: Lena genießt Mamas Umarmung und denkt für uns Zuschauer, wie doof das denn nun wieder sei; Yagmur schaltet heimlich auf die von ihr nur kurz zuvor lautstark als verderblich verurteilen Musiksender um. Weil hier keiner etwas ernst meint und überhaupt ein Gag den nächsten jagt, lösen sich jegliche Differenzen in Witz und Wohlgefallen auf. Doch das weiß man von Anfang an, denn die Serie verhehlt das gar nicht.

Dass Bora Dagtekin einmal auch das Judentum durch den Kakao zieht, will die Normalität im Umgang vielleicht ein wenig zu augenfällig beweisen. Aber lustig ist es doch, wenn Lena auf der Suche nach endlich exakt formulierten Regeln erneut nur neues Chaos stiftet. Vielleicht liegt dies Gelingen auch an der Perspektive: Der Autor, der wohl aufgrund seiner eigenen deutsch-türkischen Abstammung gewählt wurde - was nicht heißen soll, dass er kein guter Drehbuchautor ist, denn das Gegenteil beweist er hier - Bora Dagtekin also hat mit der 16-jährigen Lena die deutsche und zudem weibliche Sicht gewählt. Tatsächlich sind es in Türkisch für Anfänger die Frauen, die die besseren Sprüche haben, überhaupt einen Tick lebenstauglicher scheinen; mit Mutter Doris liegt zudem ein Hauptaugenmerk, wohl auch wegen ihrer Darstellerin Anna Stieblich, auf dieser - ja: typisch deutschen Mischung aus protestantischem Gutmenschentum und katholischem Unfehlbarkeitsdogma.

Wie weit man mit dieser Ironie kommt, sei dahin gestellt. Kurzweilig aber ist diese Serie allemal. Von einem schwerwiegenden Schritt in die richtige Richtung zu sprechen, würde der Sache allerdings mehr Gewicht beimessen, als sie hat. Und nur wieder beweisen, dass das Zusammenleben von Deutschen und Türken in Deutschland noch lange nicht normal ist. Zum Glück gibt es viele, die wissen, dass dem doch so ist. Vielleicht handeln die kommenden Folgen deshalb vor allem von der Liebe und (zu ihrem Besten) weniger ausschließlich von dem Unterschied zwischen den Deutschen und den Türken: Türkisch für Fortgeschrittene lernt man nur in der Realität. Der Vorabend-Grundkurs der ARD bietet dafür allerdings ganz gute Voraussetzungen.

Türkisch für Anfänger, ARD, dienstags bis freitags um 18.50 Uhr.


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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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