Farbklumpengewächs

Ausstellung Der polnische Künstler Wilhelm Sasnal reflektiert in seiner Kunst die Möglichkeiten des Malens im Zeitalter des Fotos. Nun ist ihm eine Ausstellung in München gewidmet

Spätestens seit Erfindung der Fotografie verlangt man vom Selbstporträt eines Künstlers mehr als nur die Befriedigung voyeuristischer Interessen. Natürlich soll der Mensch darauf zu sehen sein, vor allem aber soll sich die Idee seiner Kunst darin spiegeln. Wilhelm Sasnal, der sich üblicherweise wenig um die Ansprüche schert, die man an ihn stellt, erfüllt diese Erwartung in seinem Self-Portrait von 2010 vorbildlich – indem er ausgerechnet die narzisstische Geste verweigert. Das kleinformatige Gemälde zeigt nichts als seinen Hinterkopf.

Eine Abwendung, die eine unmögliche Perspektive vorstellt: Niemand kann sich selbst von hinten betrachten, ohne dass dieser Blick an einer mehrfachen Mittelbarkeit litte. Den eigenen Hinterkopf bekommt man nur über den Umweg von zwei Spiegeln oder einer zuvor angefertigten Fotografie zu Gesicht; er erscheint immer schon gerahmt.

Wilhelm Sasnal, 1972 im polnischen Tarnów geboren, wo er seit Ende seines Studiums an der Krakauer Kunstakademie wieder lebt, ist seit knapp zehn Jahren jenseits seines Heimatlandes bekannt. Seine Werke, stilistisch im Spannungsfeld zwischen Pop Art und Fotorealismus beheimatet, wurden von Anfang an hoch gehandelt und waren bislang fast ausschließlich in privaten Galerien und Kunstvereinen zu sehen. Die öffentliche Rezeption setzt verzögert ein: Nach einer Einzelausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 in Düsseldorf im Jahr 2009 zeigt nun das Münchner Haus der Kunst eine großzügige Werkschau mit über 60 Gemälden und einer Auswahl von Videoarbeiten aus den vergangenen zehn Jahren.

Gaddafi übermalen

Nicht selten wählt Sasnal ein Bild, das bereits in das kulturelle oder politische Gedächtnis eingegangen ist, zum Ausgangspunkt seiner Arbeit, die auf der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion wandelt. Für seine ansonsten sehr getreue Version der Badestelle in Asnières des französischen Neo-Impressionisten Georges Seurat hat er alle Personen bis auf einen Jungen entfernt; einzelne Szenen aus dem Maus-Comic von Art Spiegelmann reduziert er auf die Schraffuren; er reproduziert Nachrichtenbilder in Öl auf Leinwand und übermalt sie bis zur Gerade-noch-Kenntlichkeit oder zerlegt sie in ihre grafischen Einzelteile. Wilhelm Sasnal löscht in seinen Werken die Sichtbarkeiten – um sie als Repräsentationen, als mediale Effekte zu entblößen.

Wiederkehrendes Moment seiner Werke ist die verlaufende Farbe, die die Verhältnisse verkehrt. Mal fließt sie von unten nach oben, mal fließt der Hintergrund über eine Mauer im Vordergrund, und in der Videoarbeit Touch me schwebt dunkles Blau wie ein apokalyptischer Atompilz auf ein Karree aus Wohnblocks hernieder, als befänden diese sich nicht in der städtischen Wirklichkeit, sondern in einem Wasserglas. In dem Gemälde Gaddafi, das eine Zeitungsfotografie zitiert, hat Sasnal die Leiche des Diktators dick mit Farbe übermalt, um die Überlagerungen der Realität durch ihre Abbilder zu kennzeichnen.

So wird das Medium selbst zum Gegenstand: Ein Klumpen Ölfarbe wächst aus der Leinwand, das zweidimensionale Bild ragt in die Räumlichkeit – touch me. Die Nachträglichkeit der Kunst gegenüber ihren Objekten stellt für Sasnal nichts dar, dem man durch Abstraktion entkommen könnte. Sondern die große Frage, die er an sein Schaffen hat.

Wilhelm Sasnal Haus der Kunst, München, bis 13. Mai

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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