Ganz im Sinne Sarrazins: Die Absage des Hauses der Kulturen der Welt

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Am Mittwochnachmittag erreichte uns um halb zwei Uhr eine Mail aus dem Haus der Kulturen der Welt:

Das Haus der Kulturen der Welt steht für eine kritische und zukunftsgewandte Auseinandersetzung mit Fragen der Migration in unserer pluralen Gesellschaft. Thilo Sarrazins polemische Thesen sind völlig konträr zur Grundhaltung des Hauses. Leider werden solche ausgrenzenden Positionen in der Gesellschaft immer wieder hochgespült. Daher halten wir eine kritische Auseinandersetzung gerade an unserem Ort für notwendig. Festivalleiter Ulrich Schreiber hat uns gestern mitgeteilt, dass der Verlag und Thilo Sarrazin einen kritischen Gesprächspartner auf dem Podium ablehnen. Das können wir nicht tolerieren: Die von uns gewünschte Form der Auseinandersetzung wird dadurch konterkariert. Bleibt es bei dieser Haltung von Thilo Sarrazin und des Verlages, wird die Veranstaltung bei uns nicht stattfinden.

Bernd M. Scherer, Intendant Haus der Kulturen der Welt

Drei Stunden später meldete sich die DVA zu Wort:

Bernd Scherer, der Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, hat heute per Pressemitteilung die Veranstaltung mit Thilo Sarrazin am 25. September in Berlin abgesagt. Dabei wird Ulrich Schreiber, der Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin, wie folgt zitiert:

Festivalleiter Ulrich Schreiber hat uns gestern mitgeteilt, dass der Verlag und Thilo Sarrazin einen kritischen Gesprächspartner auf dem Podium ablehnen.“

Die Aussage ist unwahr. Wahr ist, dass Herr Sarrazin und der Verlag selbstverständlich kritische Gesprächspartner akzeptieren. Dies ist schon durch die Tatsache evident, dass mit Christhard Läpple ein herausragender Fernsehjournalist als Moderator für die Veranstaltung gewonnen wurde. Der Verlag DVA sowie Herr Schreiber haben weder gestern noch in den vergangenen Wochen eine diesbezügliche Aussage gegenüber dem Haus der Kulturen getroffen.

Das Haus der Kulturen der Welt hat eine lang geplante Buchpräsentation kurzfristig abgesagt. Wir als Verlag DVA legen Wert auf die Feststellung, dass Thilo Sarrazin sich sehr wohl der Diskussion stellt. Dies wird auch ab dem 30. August in vielfältiger Weise geschehen.

Mittlerweile scheint nun festzustehen, dass die Veranstaltung zwar im Rahmen des Literaturfestivals stattfinden wird, aber eben nicht im Haus der Kulturen der Welt. Letzteres führt seine Integrität ins Feld. Ersteres die Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion: „Vielmehr halte man es für wichtig, 'die Position des Andersdenkenden' in einem kulturpolitischen Forum zu diskutieren. 'Wir dürfen dieses Terrain nicht den Rechten überlassen', so der Festivalchef am Mittwoch.“ (Ulrich Schreiber laut Tagesspiegel)

Dieser Widerstreit passt überraschend gut zu dem Buch, an dem sich der Konflikt entzündet hat. Denn die Rede von der gesellschaftlichen Zuständigkeit hält Thilo Sarrazin nur für eine Ausrede derjenigen, die zu faul sind, selbst die Verantwortung zu übernehmen, und deshalb immer wieder den Anderen – der Gesellschaft nämlich – die Schuld für ihren sozialen/körperlichen/intellektuellen Zustand geben. Insofern handelte das Haus der Kulturen der Welt ganz im Sinne von Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab: geradezu vorbildlich eigenverantwortlich nämlich (wenn auch etwas spät) und ohne sich auf das angebliche gesellschaftliche Interesse an Sarrazins nationalem Heilprogramm herauszureden. Für das Literaturfestival wie für Sarrazins Verlag DVA gilt im Umkehrschluss: Für die Verbreitung solcher Thesen soll bitte keine diffuses Interesse irgendeiner Öffentlichkeit verantwortlich gemacht werden. Sondern einzig und allein das Interesse des Literaturfestivals und des Verlags an der Verbreitung solcher Meinungen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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