Japanophil

Logo ohne Logo Wie japanische Marken durch ihr fröhlich subjektives Einverständnis mit dem Seriellen den Westen erobern

Der kulturelle Einfluss der USA scheint zu sinken - Japan ist der Stichwortgeber der Stunde. Ganz post-politisch nahm die aristokratische Nation seit Mitte der siebziger Jahre den Umweg über die Technik: 1976 kam der erste VHS-Rekorder des Unternehmens JVC auf den Markt, eine Bildspeichermethode, die sich vehement durchsetzte gegen technisch überlegene Konkurrenten wie etwa Betamax. Böse Zungen behaupten: Weil die meisten Pornos in diesem Format zu haben waren. Entscheidender scheint jedoch, dass JVC das System an alle möglichen Firmen verkaufte, die dieses dann unter ihrem Markennamen feilbieten durften. VHS-Rekorder waren bald überall zu haben, und das in vielfältigen Looks, auch wenn das Innere sich nicht unterschied.

Ein solch großzügiger Verzicht auf die Nennung des Ursprungs ist mittlerweile ein Verkaufsargument an sich geworden. Auf den Produkten der japanischen Firma Muji, die Fahrräder, CD-Player, Möbel und anderes Lebens-Spielzeug herstellt, findet sich nirgends ein Logo oder ähnliches, alles ist vorwiegend in weiß gehalten, auffällig und unverwechselbar in seiner Schlichtheit. Angeblich rührt der Name Muji vom Ausdruck "mujirushi ryohin", was so viel bedeuten soll wie: Qualität statt Marketing. Natürlich ist Muji dadurch erst recht zum In-Label geworden - es pflegt einen lockeren Umgang mit der seriellen Identität und nicht mehr jenen ironischen wie Ikea.

Bereits zwei Jahre vor dem ersten VHS-Rekorder eroberte mit Heidi eine weitere japanische Serie den deutschen Markt. Die Erfinderfirma Nippon Animation produzierte in der Folge alle wichtigen Zeichentrick-Filme wie Biene Maja, Sindbad, Pinocchio und Wickie und die starken Männer. Ein unverkennbarer Stil: Die Gefühle der Figuren äußern sich exzentrisch in ein paar scheinbar feststehenden Gesichtsausdrücken, die Gestalten sind infantil überzeichnet. Das einzige vermeintlich menschliche Merkmal dieser Comic-Helden ist der Lichtreflex in den Mitleid heischend großen, runden Augen, der ihnen eine lebendige Melancholie verleiht. Obwohl sie ihre Künstlichkeit gar nicht erst zu verbergen suchen: Animes meinen niemals Menschen, sondern erzählen immer schon Puppen-Geschichten. Die Kategorien von Form und Inhalt werden aufgeweicht, bei Pokémon konnte man schließlich gar nicht mehr unterscheiden, ob die TV-Serie ein Werbespot für Stofftiere war - oder die knuddeligen Teile das Merchandisingzeug zu den Filmen darstellten. So wie Muji stets "Design" meint, wenn es von "Qualität" spricht.

Das fröhlich subjektive Einverständnis mit dem Seriellen - das sich gerne mit einem Hauch minderjähriger Erotik umgibt - findet man auch in der Musikbewegung "Visual Kei" (VK) wieder, die weniger durch einen einheitlichen Musikstil als vielmehr durch die Travestie der Bandmitglieder und ihrer Fans auffällt. "Zu den Besonderheiten des Visual Kei zählt jedenfalls der Umstand, dass er von Männern gesungen wird, die sich wie Frauen kleiden; während das Publikum vor allem aus Frauen besteht, die sich wie Männer kleiden, die sich wie Frauen kleiden", beschrieb die Berliner Zeitung treffend. Weiß geschminkte Gesichter, Rüschen und Schnallenschuhe gehören unabdingbar zum VK-Outfit, das die Mädchen-Mode vergangener Jahrhunderte zitiert. Püppchen-Styling eben.

Die Bezeichnung setzt sich aus dem englischen Wort für "visuell, sichtbar, optisch" und dem japanischen Begriff für "System, Herkunft" zusammen. Das trifft die Sache sehr genau: Wie schon bei den Mangas und den Animes der natürliche Leib als der immergleiche angesehen wird und nur durch Äußerlichkeiten seine Eigenheit gewinnt, so kreieren auch die Visual-Kei-Fans ihr Ich, indem sie sich den gezeichneten Idolen optisch gleichmachen. Ihr stetig propagiertes Außenseitertum, ihre Andersheit besteht eben darin, dass sie sich in eine bestehende Bilder-Serie einklinken.

Das versuchte auch die Band Tokio Hotel mit Hilfe von Produzenten, die sich auf dem Popmarkt der 10- bis 15-Jährigen auskennen, mit etwas Japanischem im Bandnamen und auch ansonsten viel, viel Schminke. Der Erfolg war tatsächlich garantiert. Und ebenso, dass die "echten" Visual-Keis vor den Konzerten der Teenieband protestierten: Sie wenden sich gegen die Nachmache. Obwohl sie selbst doch als Kopien von Comicfiguren ihre unschlagbare Individualität erfahren.


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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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