Kein Nachruf auf Gottschalk

Medientagebuch Thomas Gottschalk hört mit „Wetten, dass ..?“ auf und alle seine Kritiker sind ergriffen – weil sie um den Verlust ihrer eigenen Relevanz wissen 

Nein, Thomas Gottschalk ist nicht gestorben, auch wenn es in dieser Woche ein wenig danach aussah. Er hat bloß angekündigt, die Moderation der Sendung Wetten, dass ..? am Ende des Jahres aufzugeben. Und dennoch klingen alle Zeitungsartikel, die von diesem Umstand handeln, wie Nachrufe; ganz ähnlich denen auf Peter Alexander. Jahrelang wurde Gottschalk nach jeder Ausgabe seiner Samstagabendshow mit Häme übergossen – und nun steigen allen Kommentatoren plötzlich die Tränen in die Augen, vor Rührung über diesen Abgang. Ein Verhalten, das Medien eigentlich nur an­gesichts des Todes eines Menschen an den Tag legen, um wenigstens postum Respekt zu erweisen.

Wenn Personen, die ihre Prominenz der Kamera verdanken, die Entscheidung treffen, sich eben dieser Kamera zu entziehen, geht stets ein so unglaubwürdiges wie anerkennendes Raunen durch die Menge. Dass einer freiwillig auf die Präsenz und das zugehörige Gehalt, bei Gottschalk angeblich 100.000 Euro pro Show, verzichtet, kann sich die Fernsehwelt nicht vorstellen, da sie zwischen einem echten und einem medialen Suizid im Prinzip kaum unterscheiden kann. Deshalb wird die Tat bestaunt und gelobt und der Gescholtene wieder eingemeindet: Vor den Gottschalk-Abschieds-Specials darf man sich schon jetzt grausen; nicht nur wegen des Gummibärchen-Boheis, sondern vor allem wegen der Unfähigkeit des Fernsehens, mit dieser Verweigerung der Sichtbarkeit umzugehen.

Lebensverlängernde Maschinen

Doch so ergriffen die Reaktionen scheinen mögen, so egozentrisch sind sie womöglich. Die Kommentatoren trauern wohl auch um die eigene Wirkungsmacht: Ein Journalist ist selten besser als sein Thema, und welcher Sendung kann sich ein Kritiker nun noch mit einer ähnlich großen Hingabe widmen wie Wetten, dass ..?, sofern er wenigstens ein Mindestmaß an Bekanntheit voraussetzen möchte und zugleich auf einen Gegenstand Wert legt, der ein paar Angriffspunkte bietet? Es bleibt nur noch der Tatort! Ohne Gottschalk, so die Furcht, gibt es bald kein beinahe kollektives Fernseher­lebnis mehr, das nicht in alljährlichen Staffeln, sondern in der im Prinzip unend­lichen Serialität der Tradition denkt. Wetten, dass ..? gilt als einzige Unterhaltungsshow der Öffentlich-Rechtlichen, die die Konkurrenz des Privatfernsehens überlebt hat.

Es handelt sich um keine Trennung in gegenseitigem Einvernehmen, sondern um eine einseitige Absage: Gottschalk geht, doch Wetten, dass ..? soll bleiben. Warum eigentlich? Nur weil man beim ZDF keine bessere Idee für die Samstagabendgestaltung hat? Vielleicht haben die Kritiker mit ihren Nachrufen ausnahmsweise Recht – die Gelegenheit, derart souverän und er­hobenen Hauptes vom Platz zu gehen, ist nicht nur günstig, sondern geradezu einmalig. Mit dem Unfall, der im vergangenen Dezember in der Sendung geschah und Gottschalk jetzt zum Abgang bewog, ist der Sender vorbildlich umgegangen. In diesem Jahr feiert man den 30. Geburtstag der Show, und deren Gesicht hat eben entschieden, dass es davon nun genug hat.

Ein würdiges und schmerzloses Ende wäre Wetten, dass ..? eher zu wünschen als ein jahrelanges Siechen, künstlich beatmet von blonden Assistentinnen, ruhig gestellt durch Wetten, die nichts mehr fürchten als das Risiko, und immer gefährlich nahe am Hirntod wegen eines Moderators, der den Blick ins Dekolleté seiner Gesprächspartnerinnen vorher üben und die Altherrenwitze vom Teleprompter ablesen muss.

Solche Maschinen verlängern zwar Leben, aber sie retten es nie.


Katrin Schuster bloggt auf katrinschuster.de

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Geschrieben von

Katrin Schuster

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