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Linksbündig Was alles fehlt: Geschichtsvermittlung in der Schule

Üblicherweise beschäftigt sich außer Lehrern kaum einer mit dem Lehrplan, da die trockene Aneinanderreihung eher hohler Worte, die "Unterrichtsvorhaben" und "pädagogische Akzente" formulieren sollen, wenig Freude macht. Nun aber wollen plötzlich doch ein paar mehr Menschen mitreden als nur die Beamten der zuständigen Ministerien. Der "Forschungsverbund SED-Staat" der FU Berlin zum Beispiel. In einer Studie haben dessen Leiter Klaus Schroeder und seine Mitarbeiterin Monika Deutz-Schroeder festgestellt, dass deutsche Schüler frappierend schlecht über die DDR Bescheid wissen. Jeder Vierte halte Willy Brandt oder Konrad Adenauer für DDR-Politiker; wer die Mauer erbaut habe, sei vielen ebenfalls nicht klar; auch würden soziale Errungenschaften der DDR hervorgehoben. Die Änderung dieses Zustandes ist das klare Anliegen der Studie.

Inzwischen ist bereits ein Gegengutachten in Arbeit, das Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner in Auftrag gegeben hat und von dem Hamburger Geschichtsdidaktiker Bodo von Borries erstellt werden soll, der, weiß die FAZ, die Selbstsicherheit sowie den "Hang zur Eindeutigkeit" der Forschungsverbund-Publikation kritisierte. Tatsächlich kann man erahnen, dass manche Fragen nur bedingt zur Klärung des Wissensstands von Schülern beitragen. Zum Beispiel die Bewertung der Aussage "Die Staatssicherheit war ein normaler Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat." Was ist da mit "normal" gemeint? Dass jeder Staat einen hat? Oder wie sich der benimmt?

Ein wenig erinnert das an die Theorieprüfung beim Führerschein, da die Rhetorik gar so schön und unverkennbar die Richtung der richtigen (hier: ideologischen) Antwort weist. Was über die Kenntnisse der Befragten wiederum nur wenig aussagt. Vielmehr wird das Faktische von einer Moral übertönt, die sich im Wort "normal" deutlich genug verdichtet. Wer andere allerdings der Ostalgie zeiht oder wenigstens verdächtigt, der sollte mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit und Engagement darauf verwenden, dass der eigene Blick nicht allzu allergisch getrübt ist. Das würde die Relevanz der Ergebnisse nicht einmal schmälern, sondern ihnen im Gegenteil mehr Gewicht verleihen. Denn in Teilen erschreckend und unangenehm sind diese allemal.

"Das sind Distanzierungsmethoden, keine Erkenntnismethoden", sagte jüngst Götz Aly in einem Interview mit dem Deutschlandradio über die Einordnung historischer Ereignisse in gute und böse: "So geht die Geschichte nicht auf." Da muss man dem umstrittenen Historiker, selbst ein Experte in Sachen ahistorischer Moralisierung, ausnahmsweise einmal Recht geben. In dieser Hinsicht nehmen sich Ost und West nichts. Auf der anderen Seite des Spiegelbildes beginnt sich nämlich genau dasselbe Dilemma abzuzeichnen.

Auch in Bayern wird für eine vertiefte Kausalitätendiskussion bald keine Zeit mehr sein. "Auf spektakuläre Weise" seien "die Proportionen durcheinander geraten", schrieb die Süddeutsche Zeitung, als bekannt wurde, dass für den Nationalsozialismus in der neuen Oberstufe des G8-Modells nur mehr sieben Wochenstunden veranschlagt werden - als würde sich das Pensum an der zeitlichen Dauer, also der Quantität des jeweiligen Themas orientieren und nicht mehr an dessen gesellschaftlicher Bedeutung. Was angemessener wäre, denn auch die Nazi-Diktatur, wiewohl in keiner Weise vergleichbar mit der DDR-Diktatur, ist ein Trauma, an dem Deutschland sich offensichtlich noch nicht abgearbeitet hat. Sonst würde wohl gerade nicht derart heftig über historische Deutungshoheiten und Wissensmacht gestritten - und in wundersamer Weise ein ums andere Mal der Staat für die Bildungsmängel verantwortlich gemacht. Wenigstens wird nicht hingenommen und geschwiegen. Denn das wurde schließlich lange und oft genug.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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