Makeover

Linksbündig Versteckt in sich selbst: Die Karadzic´-Ästhetik

Auguste Dupin hätte Radovan Karadzic´ vermutlich bald aufgespürt. Nur leider ist Auguste Dupin eine literarische Figur: In Edgar Allan Poes Der entwendete Brief durchsucht die Polizei alle Geheimfächer in der Wohnung eines Briefdiebes, jedoch erfolglos. "Der Präfekt zog ein Notizbuch heraus und las eine genaue Beschreibung der inneren und namentlich der äußeren Beschaffenheit des vermissten Dokumentes vor." Dupin entdeckt es schnell: Der Brief steckt in einem Postkartenständer, allerdings in einem falschen, zudem zerknitterten und verschmutzten Umschlag. "Gerade die Übertriebenheit dieser Unterschiede war es, was mir auffiel", erklärt Dupin.

Wie präsent Radovan Karadzic´ während der Jahre war, da man nach ihm suchte, erstaunte die ganze Welt, nachdem man ihn vorvergangene Woche in einem Bus in Belgrad verhaftet hatte und bekannt wurde, wo und wie er sich versteckt hielt. Oder eben nicht versteckt hielt: Karadzic´ nannte sich Dr. Dragan Dabic, er praktizierte als Arzt für alternative Medizin, schrieb Bücher, nahm an Kongressen teil. Von einer Übertriebenheit der Unterschiede zum Fahndungsfoto kann hier ebenfalls gesprochen werden: Als Dabic trug Karadzic´ das Haar lang, manchmal zum Zopf gebunden, manchmal einen Panamahut darüber (an diesem poetischen Zitat hätte Dupin ihn vielleicht erkannt); eine altmodisch große Brille entstellte die obere Hälfte seines Gesichts, ein mächtiger Rauschebart verdeckte die untere. Von der früheren Intellektuellen-Tolle war nichts mehr zu sehen.

Derart verwuchert hat man auch Saddam Hussein aus seinem Erdloch geholt. Immerhin erkannte man ihn noch als den Hussein der Fotografien und Gemälde wieder, die Haarpracht war wohl seinen Lebensumständen geschuldet. Doch auch der Doktor-Dabic-Look des Radovan Karadzic´ ist keine aufwändige Verkleidung, im Gegenteil fiel Karadzic´ - ganz wie Hussein - in eine Art Ur-Zustand zurück, mied Schere und Rasierer und ließ der Natur freien Lauf und Wuchs. Eine solche Maskierung mittels Demaskierung unternahm schon der Betrüger Jürgen Schneider; ohne Toupet erinnerte er kaum an den Immobilienunternehmer Jürgen Schneider.

So denkt ein Militär: Während die Polizei den ehemaligen Dichter und Präsidenten Karadzic´ in geheimen Unterschlüpfen vermutete, versteckte der sich in sich selbst, indem er sich - Prinzip Strichtarn - der Natur anverwandelte. Dass sein Gesicht sich als Ikone des Bösen eingebrannt hatte, kam ihm dabei wohl zupass. Eine solche Sakralisierung lenkt die Aufmerksamkeit auf Identitäten und sortiert bloße Ähnlichkeiten als Irrtümer oder Täuschungen aus. Weil der Glaube groß ist, dass man das Böse an Äußerlichkeiten erkennen kann, zeigt man sich empfindlich für ästhetische Modifikationen.

Mittlerweile trägt Karadzic´ wieder sein Karadzic´-Gesicht, auch wenn es ein wenig gealtert ist; angeblich galt seine erste Bitte, nachdem er an den Gerichtshof von Den Haag ausgeliefert worden war, der Rasur. Offenbar fühlt er sich in seiner glatten Haut wohler - als wäre das der passendere Umschlag oder wenigstens das kommodere Gewand, wenn es daran geht, sich politisch zu äußern. Für die westliche Welt stimmt das in jedem Fall, man denke nur an die blitzblanken Wangen von Berlusconi oder Sarkozy. Und dann an Kurt Beck (der die Rasur höchstens anderen nahelegt) und seine SPD.

Karadzic´ wird das jüngste Makeover nichts nützen. Mit dem Bart hat er zwar den alternativen Heiler abgelegt, nicht aber den ebenso esoterischen Volkshygieniker. Allerdings ist das geheime Wissen nun so geheim wie nie zuvor, die absolute Esoterik kennt nurmehr den einen Kundigen, Karadzic´ selbst, und gar keine materiellen Präsenzen mehr. Deswegen verzichtet er im Prozess auch auf den Beistand von Anwälten - schließlich weiß er einen "unsichtbaren Verteidiger" an seiner Seite.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden