Mauern als Waffen

15 Minuten anonym Kleines Porträt des britischen Graffiti-Künstlers und "Stencilisten" Banksy

Zum Bestand des Holocaust-Gedenkens gehören die Fotografien von verhungernden Körpern hinter Stacheldraht. Ein solches Bild hat der britische Graffiti-Künstler Banksy auf seiner Internetseite www.banksy.co.uk unter dem Stichwort Manifesto eingestellt. Die Lippen der leeren Gesichter hat er pink eingefärbt. Darunter folgt kein programmatischer Text von Banksy, sondern ein Auszug aus dem Augenzeugenbericht eines britischen Leutnants, der 1945 erlebt, wie eine (natürlich nie angeforderte) Lieferung Lippenstifte unter den Häftlingen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen verteilt wird. "That lipstick started to give them back their humanity" (Dieser Lippenstift begann, ihnen ihre Menschlichkeit zurückzugeben), schrieb er auf. Billige Kosmetik macht tätowierte Nummern vergessen? Die Irritation ist schlicht aber erfolgreich, in politischem, ästhetischem wie moralischem Sinne - nichts könnte besser taugen als Manifesto an dieser Stelle.

Banksys wahrer Name ist unbekannt, als illegaler Sprayer sucht er naturgemäß und zudem glaubhaft seine Anonymität zu wahren - auch wenn er für die Werbechefs von Puma, MTV oder die britische Band Blur manchmal doch zu sprechen ist; für Greenpeace hat er ebenfalls bereits gearbeitet. Einige identifizieren ihn als Robert Banks oder Robin Banks (manche sehen gar zwei Personen hinter dem Pseudonym), er soll etwa 30 Jahre alt sein.

Banksy arbeitet nur mit den so genannten Stencils, selbstgeschnittenen Schablonen aus Pappe; das schärft die Kanten, zwingt zum Verzicht auf Farbenfreude und steigert den Wiedererkennungswert; verschiedene Serien kristallisieren sich heraus. Der Sprayer selbst behauptet, ihm liege das Freihändige nicht.

Banksy ist in Bristol aufgewachsen und heute als Phantom auf der ganzen Welt unterwegs. In Paris, London, Tokio, Wien, New York und jüngst im Westjordanland - um die israelische Grenzmauer auf palästinensischer Seite virtuell zu überwinden, zu durchlöchern. Eines seiner Werke dort sieht aus wie der Schatten eines Mädchens, das, an einem Bund Luftballons hängend, geradewegs in den Himmel steigt; ein anderes zeigt einen Jungen, der eine Leiter auf die Mauer pinselt; dann wieder zieht ein Mann die Mauer wie ein Stück Stoff beiseite oder reißen Kinder sie wie Papier auf, dahinter kitschiger Strand oder Bergeshöhen, der übliche Trug von Freiheit. "A wall is a very big weapon", sagt Banksy. "It´s one of the nastiest things you can hit somebody with." (Eine Mauer ist eine sehr mächtige Waffe, man kann auf sehr gemeine Weise jemand damit erschlagen). Unter seinen Umständen meint er das positiv.

Denn Mauern sind ihm nicht nur eindrückliche Manifestationen der autoritären Abgrenzung, sondern in ihrer politisch blanken Oberflächlichkeit tatsächlich Dinge, derer sich beinahe genauso gut ihre Opfer bedienen können. Eines der Graffitis von Banksy sieht ganz aus wie ein offizieller Anschlag, er weist darin schelmisch eine "designated graffiti area" aus. Binnen ein paar Tagen füllte sich die Wand mit bunten Graffitis - so gehorsam ist die Sprayer-Szene.

Doch Banksy ist nicht der Einzige, der der herzhaft affirmativen Freude des Pop am unpolitischen Solipsismus eine Rückeroberung des öffentlichen Raums, eine Subversion der Realitäten und Autoritäten entgegen setzt. Im Jahr 2001 gründete sich das Wooster Collective, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die verbotenen und deshalb vergänglichen Versuche des schlauen und gewitzten Protests auf den Mauern dieser Welt zu dokumentieren. Gleiches macht auch www.picturesofwalls.com. Die Freewayblogger wiederum tapezieren Brücken und anliegende Hänge amerikanischer Autobahnen. "This war is a lie" (Dieser Krieg ist eine Lüge), heißt es auf einem Plakat. Und auf dem daneben: "And you know it." (Und ihr wisst das). Die Mitglieder von ImprovEverywhere veranstalten heiter-irritierende Performances auf Straßen und Plätzen, in denen sie kulturelle Codes persiflieren - "we cause scenes" (wir veranstalten eine Szene) lautet ihr Slogan. Die "Adbusters" wiederum entstellen Werbeanzeigen und gehören zu den Unterstützern des jährlichen "Buy-Nothing-Day" (Kauf-Nichts-Tag). "Remember", lautet einer von Banksys Tipps für zukünftige "Stencilisten", "a crime against property ist not real crime" (Ein Verbrechen gegen Eigentum ist kein wirkliches Verbrechen).

Solche Verbrechen am Eigentum begeht Banksy mittlerweile immer seltener. Viel öfter begibt er sich stattdessen in öffentliche Innenräume, verkleidet mit Mantel und Mütze, das Gesicht stets abgewandt von den Überwachungskameras. Dabei schadet er keinem weißen Mauerwerk, sondern fügt nur ein wenig hinzu. Das ist die andere Variante seiner deplazierten Kunst, seines Spiels mit und um Aufmerksamkeit zwischen Sehmustern und Störfaktoren: Im Jahr 2003 schmuggelte er ein Gemälde ins Tate Britain - eine Landschaft aus dem 19. Jahrhundert, in die hinein er ein Polizei-Absperrband ("do not cross") gemalt hatte - die Mechaniken der Medien-Angstmache und Idyllisierung - vereint in einem Rahmen. Der Parasit fiel erst auf, als sich das Klebeband löste und das Bild krachend zu Boden ging.

Immer wieder sind es diese Ikonen der westlichen Welt, deren Zynismus Banksy enttarnt durch Kombinieren und Übermalen: Kampfhubschrauber haben bei ihm rosa Schleifen und Soldaten Smileys statt Gesichter; ein Gemälde mit Meeresbucht und Sonnenuntergang hat er um einen Guantanamo-Häftling mit Sack über dem Kopf erweitert; in Claude Monets Seerosenteich verrotten Einkaufswägen.

Im März 2005 beglückte Banksy gleich vier ahnungslose New Yorker Museen, darunter das MoMA und das Metropolitan, mit seinen entstellten Werken. Dem British Museum wiederum jubelte er im Mai 2005 eine scheinbar vorzeitliche Felsenzeichnung mit Strichmännchen und Einkaufswagen unter. "Early man goes to market" (Frühmensch geht zum Markt) soll mehrere Tage unbehelligt dort gehangen haben.

Im Naturhistorischen Museum in London fand sich plötzlich eine ausgestopfte Ratte im Glaskasten, mit Rucksack, Sonnenbrille, Spraydose sowie Mikro in der Hand, "Time will come" (Die Zeit wird kommen), stand hinter ihr an die Wand gesprayt, in kleinen Buchstaben. Banksys Tiere beschwören zumeist andere Tage, Tage der Rache: Auf einer Hauswand ein Affe mit hängendem Kopf und einem Schild um den Hals, "Laugh now, but one day we´ll be in charge" (Lache jetzt, aber eines Tages werden wir die Kontrolle übernehmen) steht darauf; auf einer anderen Mauer entweicht ein Leopard einem Strichcode-Käfig. Wer die Welt und ihre Gesellschaft sterilisieren will, fordert sie heraus, Banksy ist selbst das beste Beispiel dafür. Am Eingang seiner Homepage prangt gerade ein verdrehtes Zitat, frei nach Andy Warhol: "In the future everyone will be anonymous for 15 minutes." (In der Zukunft wird jeder für 15 Minuten anonym sein). Mit dieser Hoffnung steht er nicht alleine da.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

Avatar

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden