Müller

Linksbündig Sieht aus wie immer: das Gesicht der Finanzkrise

Die Chronologie der Bilder ist dieselbe, ganz gleich ob die Krise von der Natur oder der Politik verursacht worden ist. Auf die Illustrationen der Katastrophe - anonyme Gesichter oder kaputte Landschaften - folgen stets die statischen, Beruhigung versprechenden Aufnahmen von Staatsmännern und -frauen, die von der Besserung der Situation künden. Die aktuelle Finanzkrise wirft diese gewohnte Dramaturgie durcheinander. Das ordentliche Nacheinander will nicht mehr klappen, die Bilder von Ursache, Wirkung und Problemlösung wechseln einander scheinbar sinnlos ab: Hier trifft sich die Politik, da geht der DAX erneut auf eine kapitale Talfahrt, dort muss eine weitere Bank Konkurs anmelden, hier trifft sich die Politik, da fällt der Dow Jones. Und so weiter und so fort.

Dagegen wirkt die Eindeutigkeit von Wirbelstürmen, Waffen und Verwüstungen wie eine Reminiszenz an alte Zeiten, in denen es vermeintlich nichts misszuverstehen gab. Was aber muss man sich bei dieser Krise ansehen? Den Firmensitz der Lehman Brothers Investmentbank etwa. Oder den der Hypo Real Estate. Oder den eines japanisches Versicherungsunternehmens. Dass der erste prominente Auftritt dieser Bauwerke in der Öffentlichkeit ihr gleichzeitiges Verschwinden von der ökonomischen Landkarte bedeutet, können diese Fotografien in keiner Weise klar machen. Wie sollten sie auch: Die Häuser der Kapitalhändler sind manifeste, glänzend intakte Demonstrationen der Macht, deren Größe die Tatsache, dass ihr realer Wert imaginär (sie selbst nennen es vermutlich "visionär") bestimmt wird, bestens kaschiert. Keine andere Branche wird in ihrer Hoffnung auf die Performativität von Ahnungen und Ankündigungen immer wieder eindrücklich bestätigt - kein Wunder also, dass die Bilder davon keine Tiefe haben und nichts als sich selbst aussagen.

Auch die anderen Aufnahmen aus dem Krisengebiet taugen, im Gegensatz zu jenen von natürlichen oder politischen Krisengebieten, nicht für Interpretationen. Ein Blick auf das Frankfurter oder das New Yorker Börsenparkett führt das übliche Chaos vor, den Händlern ist nichts anzusehen, ihre Anzüge sind dieselben wie zuvor. Keine andere Krise hat eine solch adrette Oberfläche - was vielleicht erklärt, dass die Panik unter den Normalbürgern nicht ausbrechen mag. Die mediale Zurückhaltung ist zwar mittlerweile der offensiven Thematisierung gewichen, doch stehen der eben keine anderen Illustrationen als in den vergangenen Jahren zur Verfügung. Der Kursmakler Dirk Müller etwa, den man häufig sieht, ist ein altbekanntes Mediengesicht. Seit er 1998 genau unter der DAX-Anzeige Platz genommen hat, gilt er den Pressefotografen immer wieder als beliebtes Motiv, um die Zickzacklinie in die Theatralik der stummen Sprache von Mimik und Gestik zu übersetzen. Eine Differenz zwischen früherem und heutigem Entsetzen ist dabei nicht ersichtlich.

Müller ist nicht der einzige Emotionendarsteller, tatsächlich bekam man in den vergangenen Wochen eine Menge Börsenmakler zu Gesicht. Allerdings waren diese kaum voneinander zu unterscheiden, da sich ihre Präsenz in der immergleichen Geste - Hände vor Augen oder Mund - erschöpfte, welche die so unsichtbare wie reale Wirkung des Börsenkurses in der menschlich-konkreten Wirklichkeit zu spiegeln hat. Dass zumeist die Anzeigentafel im Hintergrund als Skene der Tragödie dient, ist nicht allein dem visuellen Design geschuldet. Die Frage nämlich, wer hier wen abbildet, ist eine der grundsätzlichen in dieser Krise: Gibt es noch irgendein Reales, das dem Aktienindex Respekt einflößen könnte? Immerhin ästhetisch kann sie bereits beantwortet werden: DAX und Dow Jones sind nichts anderes als Stimmungsbarometer. Und würde Dirk Müller öfter lächeln, dann ginge es den Kursen wahrscheinlich bald wieder besser.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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