Vergangenen Montag verzeichnete das am häufigsten gesehene Video von Saddam Husseins Hinrichtung auf Youtube fast 160.000 Views, etwa 600 User haben es zudem bewertet, das Rating verzeichnet dreieinhalb von fünf möglichen Sternen. Wieso gab es nicht die Höchstnote für den Tod des Souveräns? Wegen der schlechten Bildqualität? Weil der Kameramann den allerersten Blick auf das erloschene Gesicht verwackelte? Weil es keine Untertitel gibt? In den Kommentaren freuen sich manche über den Unterhaltungsfaktor des "funny" Films und wünschen sich einen Becher Eiskrem dazu, andere mutmaßen, Husseins Haare und Brauen wären gefärbt und er sei folglich gar nicht tot (was auch immer das miteinander zu tun hat). Im Westen nichts Neues: Je verbreiteter die Bilder, desto wohlgenährter der Zweifel an ihrer Echtheit.
Im hiesigen Fernsehen dagegen war der Film nicht in voller Länge zu sehen. Ganz zu Recht, denn sein Informationsgehalt tendiert tatsächlich gegen Null. Wenn die deutschen Nachrichten berichten, dass Saddam Hussein gehängt worden sei und wie das ablief, darf man das schon glauben, auch wenn man es nicht mit eigenen Augen zu sehen bekommt. Wer sich davon bevormundet fühlt, dem bleibt Youtube - und eine Frage, die er sich zwingend stellen sollte: Ob es ein Recht des Bürgers auf Teilhabe an der Missachtung der Menschenwürde gibt. Die Verbrechen des Diktators werden nicht aufgehoben, indem man ihm bei Sterben zusieht. Allein ein Gefühl von Befriedigung über seinen unwürdigen Tod mag sich einstellen - ob das jedoch als Ausweis von Zivilisiertheit gelten mag, bleibt zweifelhaft.
Wäre es zudem allein um den Infowert dieses Videos gegangen, dann hätte es schließlich genügt, diesen Film ein-, zwei-, dreimal bei Youtube einzustellen. Doch ganz im Gegenteil findet man ihn als serielle Dutzendware in der immerselben Fassung; so einige Youtuber hoffen wohl, dass gerade ihr Upload oft angeklickt wird - auf dass ein wenig der Aufmerksamkeit, die Saddams Tod gilt, auch für sie abfällt. Derart obszön geriert sich Eitelkeit selten.
Auch gibt es neben allerlei Parodien mittlerweile Videos, die zwar unter dem Stichwort "Saddam Hussein Execution" zu finden sind, jedoch unter falscher Flagge segeln, da sie inhaltlich rein gar nichts damit zu tun haben - außer man wollte es als künstlerischen Kommentar zur Hinrichtung verstehen, wenn knapp bedeckte Brüste und Hintern als Diashow mit Musikuntermalung arrangiert werden. "Saddam Hussein Execution" ist oft genug nicht mehr als ein Werbeslogan, der darauf hoffen muss, während des kollateralen Konsums recht schnell vergessen zu werden, damit niemand den Etikettenschwindel einklagt. Bekommt man eben Sex statt Gewalt, ist auch okay.
Wer öffentlich, das heißt heutzutage: vor laufender Kamera stirbt, der kann guter Hoffnung sein, im medialen Archiv als Ikone der Macht oder der Demütigung (je nach Perspektive) ewig weiterzuleben. Wohl deshalb wünschte sich der Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh, dass sein Tod durch die Giftspritze live im Fernsehen übertragen würde. Und deshalb enthaupteten irakische Geiselnehmer Eugene Armstrong und Nicholas Berg, während einer die grausige Szenerie digital bannte: Die beiden Amerikaner galten ihnen als gültige Stellvertreter des Souveräns, dessen Tod sie damit eigentlich imaginierten. Bereits die Attentäter des 11. September 2001 glaubten schließlich zu wissen, dass in einer Demokratie keiner unschuldig ist. Sondern - womit sie offensichtlich nicht ganz falsch liegen - ein jeder ein Konsument mit der unstillbaren Lust am Tabubruch: Genau wie der Gerichtsangestellte, der die Hinrichtung Saddam Husseins mit seinem Handy filmte, so konnten sich auch diverse Geiselnehmer stets voll und ganz auf das Internet und dessen weitgehende Unfähigkeit zur Zensur verlassen. Der Film, der die Enthauptung von Nicholas Berg zeigte, avancierte in Tauschbörsen bald zum meistgesuchtesten; einige Server, die ihn zum Download anboten, sollen gar zusammengebrochen sein. Das also ist die neue Freiheit der Information: das Recht, Menschen beim Sterben zuzusehen.
"Solche Taten werden überhaupt nur wegen der Bilder begangen", sagte anlässlich des Berg-Videos der Medienwissenschaftler Jo Groebel. Diese Aussage passt verheerend gut zu der Definition von so genannten Snuff-Videos, das heißt Videos, in denen ein Mensch ganz real umgebracht wird, allein aus dem Grund, um diesen Akt zu filmen. "Der Zweck des Mordes selbst ist seine Aufzeichnung", definiert Wikipedia die Snuff-Filme. Das Bild ist der Tod. Und der Tod ist das Bild. Deshalb konnte man eigentlich sicher sein, dass Aufnahmen von Saddams Hinrichtung existieren und gezeigt werden. Doch bei dieser Exekution wird - so oft wir uns die Bilder auch ansehen - ein jedes Mal wieder nur ein alter Mann sterben. Gerade weil sein Tod in unmenschlichen Aufnahmen gespeichert wurde, vergeht nur der menschliche Körper des Diktators und niemals das Böse, das er verkörperte und das diese Bilder weiter fortschreiben.
Der pädagogische Wert des Videos, auf den manch ein Feuilletonist in den vergangenen Tagen großmütig verwies, ist gleichfalls zu vernachlässigen. Denn Gegner der Todesstrafe brauchen keinen visuellen Beweis für ihre Grausamkeit - die ist ihnen naturgemäß längst bekannt und betrifft zudem nicht die genaue Ausführung, sondern vielmehr ihre Existenz an sich. Wer wiederum die Todesstrafe für gerecht hält, den wird auch dieses Video nicht vom Gegenteil überzeugen, denn der gibt ohnehin nicht viel auf das Reden über Humanismus, Menschenwürde und Moral. Wer meint, der Staat habe auch in Friedenszeiten die Verpflichtung, die Menschen, die dessen Fortbestand gefährden, aus dem Weg zu räumen, der will nichts mehr hören. Sondern die toten Leiber sehen, die dessen Paranoia zum Opfer fallen und ihn dadurch buchstäblich begründen. Es hat sich also nicht viel geändert in der Ikonografie des Abendlandes - soviel zu denen, die nicht aufhören können, die Muslime immer wieder als rückständiges Völkchen zu bezeichnen. Jedenfalls medientechnisch könnten wir noch viel von ihnen lernen. Ob man das will, ist die andere Frage.
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