+++ Panik bleibt aus +++

Medientagebuch +++ Aber der Krisenticker bei Spiegel-Online feiert sein Comeback +++ Die Differenz zwischen Ereignis und Nachricht schwindet +++ Am Ende bleiben Geräusche +++

Als Beweis für die Amoral der Börse führen Medien jene Termingeschäfte ins Feld, die desto lohnender sind, je tiefer der Wert des gehandelten Papiers fällt. Die Rück­versicherung gegen sinkende Kurse ist als Wetten auf den Niedergang in Verruf geraten, auch weil sich nicht entscheiden lässt, ob sie nun die Reaktion auf eine Krise darstellt oder als deren Ursache begriffen werden muss.

Allein, die Börsianer verheimlichen wenigstens nicht, dass sie mit Leib und Seele Kapitalisten sind – im Gegensatz zu vielen Nachrichtenseiten im Internet, denen tatsächlich nichts so viel wert ist wie eine ordentliche Katastrophe. Die Differenz zwischen einem Ereignis und einer Nachricht scheinen sie ebenfalls dringend vergessen zu wollen, so konsequent verwechseln sie das eine mit dem anderen.

Fast macht die Behauptung von Brisanz bereits mehr Arbeit als das eigentliche Geschäft: „Eilmeldungen“ bestehen oft nur aus ein paar Zeilen, gerne auch mit Rechtschreib- oder faktischen Fehlern sowie dem Ver­sprechen genauerer Informationen zu einem späteren Zeitpunkt.

Angst vor schwarzem Montag

Im Liveticker zur Krise findet nicht einmal mehr das statt, da verdichtet sich die Differenz von Ursache und Wirkung zur Unkenntlichkeit. Das hektische Nacheinander von losen Meldungen und die kompetitive Dynamik, die der Krisenticker vom Sportticker geerbt hat, übertüncht den Mangel an Kausalitäten und Relevanz mehr schlecht als recht. Der Niedergang, auf den Journalisten im Krisenticker wetten, meint folglich zu allererst sie selbst, da sie die Digitalisierung der Information als reale Zerstückelung missverstehen und deshalb damit beschäftigt sind, die analoge Semantik zu fingieren.

Und so darf der Verdacht auf Insiderhandel angesichts des jüngsten Krisentickers von Spiegel-Online durchaus als bestätigt gelten. Bereits am Sonntagabend raunte die Seite von der Angst vor einem schwarzen Montag – um dann von morgens 8 Uhr bis abends 19 Uhr live dabei zu sein. Prophezeiungen wollen schließlich erfüllt werden, im Notfall von den Journalisten selbst, die eifrig weiter tickerten, obwohl die große Katastrophe einfach nicht stattfinden wollte. Ein paar Sonderzeichen, und schon avancieren Nicht-Ereignisse zu Nachrichten: „+++ Panik an den europäischen Börsen bleibt aus +++“ Dass der „Liveticker“ später nurmehr als „Minutenprotokoll“ firmierte, kann nicht verbergen, dass der Ticker hier als genau das erscheint, was ihm den Namen verpasste: ein nerviges Geräusch.


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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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