Papstfixierung und Meteoritenfurcht

Kommentar Unsere Sicht auf die Welt ist weitaus christlicher, als wir es vermuten.

Wie viele Jahre die Kunst uns voraus ist? Mindestens 14: Im September 1999 eröffnete in der Kunsthalle Basel eine Ausstellung des Italieners Maurizio Cattelan, die sein bis heute wohl berühmtestes Werk vorstellte: einen lebensgetreu nachgebildeten Papst Johannes Paul II., der eben von einem Meteoriten zu Boden gestreckt worden war. Der Titel „La nona ora“ meint die neunte Stunde, in der Jesus am Kreuz starb, nachdem er – so berichten es die Evangelisten Markus und Matthäus – die eigene transzendentale Obdachlosigkeit benannt hatte. „Eloi, Eloi, lema sabachtani?“ sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Als Cattelan „La nona ora“ ein Jahr später auf der Biennale in Venedig ausstellte, erregte es – wohl nicht zuletzt, weil es sich nun auf dem heiligsten Boden Europas, in der Heimat des Papstes, befand – erneut die Gemüter. Der Künstler ließ sich nicht irritieren. „In the end it is only a piece of wax“, sagte er kokett.

Ein himmlisches Zeichen

Unser Papst, unser Papst, warum hast du uns verlassen?, schallte es Anfang der vergangenen Woche durch die Welt. Und an deren fünftem Tag hagelte es Meteoriten. Am Ende waren es vielleicht bloß ziellose Gesteinsbrocken, die im Ural niedergingen und fast tausend Bewohner der russischen Stadt Tscheljabinsk verletzten, doch die deutsche Presse hegt eine viel zu große Sehnsucht nach dem Metaphysischen, um keinen transzendentalen Willen zu vermuten. Spiegel Online sprach von „Gottes Hammer“, von „kosmischen Bomben“ und sah die „Erde unter Beschuss“, andere behaupteten gar einen „Angriff aus dem All“. Beinahe jede mediale Aufarbeitung der Ereignisse kam zu demselben Nicht-Ergebnis: Die Zukunft lässt sich nicht voraussagen, stellt sich aber in jedem Fall (oder eben deshalb) als irgendwie bedrohlich dar. Die Gefahr scheint zwar statistisch unerheblich zu sein, ist aber für die Presse viel zu verführerisch, um nicht weiterhin in so drastischen wie prophetischen, jedenfalls alles andere als säkularen Worten beschworen zu werden. Die meisten dieser Meteoriten-Legenden wurden geschrieben, weil sie Quoten bringen: Die Hoffnung der Leser auf jenen „neuen Himmel“, jene „neue Erde“, jenes „neue Jerusalem“, das schon die berühmteste christliche Apokalypse, die Offenbarung des Johannes, als Folge des Weltuntergangs versprach, ist offensichtlich nicht zu unterschätzen.

Was damit bewiesen wäre? Dass wir längst nicht so säkularisiert sind, wie wir wohl gerne wären. Der Literaturwissenschaftler Clemens Pornschlegel geht in seinem Band Hyperchristen, der sich den Autoren Brecht, Malraux, Mallarmé, Brinkmann und Deleuze widmet, noch weiter: Die Säkularisierung, erklärt er, sei nur ein Mythos der Moderne, nur eine „Variation innerhalb der christlichen Struktur“. Im Gegensatz zur Thora und zum Koran begreife die Bibel die weltlichen Dinge nämlich von jeher als ihr eigenes Außen. Gerade wer die Welt von der Religion befreien wolle, erweise sich deshalb als christlichster Christ von allen, als Hyperchrist unter den Christen. Einen dieser Hyperchristen setzte der Künstler Cattelan bereits 2001 ins Bild: Auf den niedergeschlagenen Papst folgte nur zwei Jahre später ein lebensgetreu nachgebildeter Adolf Hitler – kniend, die Hände zum Gebet gefaltet. Auch dieser Hitler ist, klar, nicht mehr als ein Stück Wachs. Das kann nur keiner glauben.

Katrin Schuster schreibt im Freitag vor allem über Literatur und Medien

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 8/13 vom 21.02.20013

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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