Am Anfang reichte es gerade einmal zu einer Nachricht. Der erste Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „D-Radio Wissen“ umfasst nur vier Sätze, er datiert vom 26. Dezember 2008, enthält keinerlei Untergliederung und nennt als Starttermin des dritten Vollprogramms des Deutschlandradios – neben dem Deutschlandfunk und D-Radio Kultur – den 1. Januar 2010. Ein gutes Jahr später weiß man und weiß Wikipedia es freilich besser: Es dauerte noch fast drei Wochen länger als einst angekündigt, am vergangenen Montagmorgen ging D-Radio Wissen endlich auf Sendung. Eine Verzögerung, die an sich nicht erwähnenswert wäre – paddelte der Sender nicht ohnehin der Wissenswelle, die seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts durch die Medien
rzögerung, die an sich nicht erwähnenswert wäre – paddelte der Sender nicht ohnehin der Wissenswelle, die seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts durch die Medien schwappt, ein wenig hinterher.Oder sollte man sagen: seit Beginn dieses Jahrhunderts? Dieses Jahrtausends? Oder schlichter und einfacher: seit das World Wide Web zum Massenmedium avancierte? Denn irgendwie scheint das ja zusammenzugehören: Noch vor 20 Jahren dachte kaum einer über den Begriff des Wissens nach, und heutzutage ist er plötzlich in aller Munde. Zeitungen installierten Wissensseiten wie zehn Jahre zuvor Medienseiten, gründeten gar eigene Ableger im Magazinformat. 1998 ging der Sender BR Alpha an den Start, der wahrlich passable Einschaltquoten aufzuweisen hat. Die Knoff-Hoff-Show wurde zwar mittlerweile endgültig eingestellt, doch Ersatz lauert an allen Ecken und Enden. Der heißt zum Beispiel Galileo oder W wie Wissen, Quarks Co. oder Planet Wissen, nano oder Wissen macht Ah!. Bei den öffentlich-rechtlichen Radiosendern wiederum klingt das zwar meist ein wenig nüchterner, dort finden sich aber kaum weniger Formate; jede Welle hat mindestens eine Wissenssendung im Programm.Setzende Gewalt der StimmeDer oftmals nur lose abgegrenzte Bereich des Wissens ist offenbar das geeignete Feld, um noch jene Autorität zu behaupten, die Zeitungen, Fernseh- und Radiosender früher einmal ausstrahlten, jedoch in den Augen der Masse oft genug nicht mehr haben. Meinungen und ihre Rhetoriken stehen häufiger in Frage, nachdem das World Wide Web derer viele parat hält und zugleich hervorragend dazu dient, sie als solche zu enttarnen und zu widerlegen. In zunehmend virtualisierten Zeiten sehnt man sich eben nach etwas Handfestem, nach Messwerten, Prozentzahlen und Tortengrafiken. Das ist die zeitgemäße Version der Lebenshilfe, die eindeutige Fakten schafft; die mir sagt, was ich wissen muss, wo andernfalls ein heilloses Durcheinander von Informationen herrschen würde.Das Wissen im Radio ist allerdings eine doppelte Erfolgsgeschichte. Weil es nicht nur eine Konsequenz des neuen Massenmediums Internet darstellt, sondern dessen Möglichkeiten zudem hervorragend für sich zu nutzen weiß. Viele Formate werden auch als Podcasts bereit gestellt, so dass sich der Hörer sein ganz eigenes Bildungsprogramm zusammen stellen kann – als handelte es sich bei WDR, RBB, SWR und all den anderen um Universitäten oder Volkshochschulen, an denen sich Seminare und Kurse belegen lassen. Das ist bei D-Radio Wissen nicht anders, aber immerhin expliziter. Das Programm hat im Grunde keine verschiedenen Formate, sondern ist unterteilt in die Kategorien „Natur“, „Medien“, „Kultur“, „Globus“ und „Meine Zukunft“ (d.h. Bildung und Soziales), die je Reportage, Interview, Kommentar fröhlich durcheinander mischen. Von Montag bis Donnerstag wiederum läuft um 20 Uhr die Sendung „Hörsaal“, die wissenschaftliche O-Töne präsentiert. Am ersten Tag bekam man etwa ein Gespräch von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Eugen Kogon über den Terror zu hören, danach einen Vortrag von Hannah Arendt zu demselben Thema.„Rein in den Elfenbeinturm. Es gilt das gesprochene Wort“, lautet der Slogan von „Hörsaal“ nicht zufällig. Dem gesprochenen Wort eignet ob seiner Präsenz – so technisch die auch reproduziert sein mag – eine Authentizität, die sich die Frage nach Lüge oder Wahrheit gar nicht erst stellen muss. Die Stimme findet immer im Präsens statt, sie ist immer hier und jetzt, woraus ihr eine beinahe unverletzliche Autorität erwächst. Seit Menschengedenken spielt sie eine zentrale Rolle in Mythen und Schöpfungsgeschichten, man denke nur an Odysseus und seine Sirenen, an Orakel und Weissagungen, an Sätze wie „Und Gott sprach …“. Die Stimme hat eine setzende Gewalt, weil sie kein Abbild einer diffusen, vergangenen Leiblichkeit ist (wie Schrift oder Bild), sondern selbst eine körperliche Äußerung. Es könnte also nicht nur am Mangel an visuellen Möglichkeiten liegen, dass die Wissenssendungen im Radio deutlich weniger experimentelle Inhalte haben als im Fernsehen: Eine solche Autorität setzt man nur ungern aufs Spiel.Eine Stadt namens WissenAllein, für D-Radio Wissen gilt das nicht. „Hirn will Arbeit“ lautet dessen Unterzeile lapidar, die Musik hat DJ Koze komponiert, und die ungewöhnlich junge Redaktion des neuen Senders macht sich gerne über den eigenen Anspruch lustig. Man frönt der anti-autoritären Absurdität des Signifikantendurcheinanders, wenn man, den ganzen ersten Tag über, aus einer rheinland-pfälzischen Stadt namens Wissen berichtet, und scheut sich nicht, die eigenen Kollegen mit Pulsmesser und MP3-Player auf die Joggingstrecke zu schicken, um die Auswirkungen verschiedener Musikstücke – Slayer versus Händel versus LCD Soundsystem – zu ermitteln, auch wenn das natürlich keinerlei wissenschaftliche Relevanz hat. Mal führt der Wetterbericht alle Berlins dieser Welt auf, ein andermal berichtet er über die Himmelslage und die Temperaturen in den Medienstädten dieser Welt. Da ist die Gradzahl und Wolkendichte dann herrlich gleichgültig, weil die Zusammenhänge – wie viele Berlins es auf diesem Globus gibt, wie die Zeitung in Phnom Penh heißt – plötzlich viel spannender sind als die eigentlichen Fakten. Einzige Wermutstropfen: Bislang wirkt alles noch ein wenig hektisch und sind die Beiträge von doch arger Kürze. Vermutlich ist die Redaktion schlichtweg zu klein, um längere Stücke zu produzieren und aus der zerstückelten Rotation auszubrechen.Immerhin hat man ein gutes Händchen mit Interviewpartnern. Gleich zu Beginn am Montagmorgen sprach man mit Mercedes Bunz über die Zukunft der Medienrezeption, ein wenig später dann mit dem US-amerikanischen Philosophen John Searle über die Angst vor Wissen, Wahrheit und Objektivität.Performative Kraft des RadiosDie selbstreflexive Diskussion wird also stets gesucht – im Positiven wie im Negativen: Im Lauf des Tages kam auch ein Astrologe zu Wort, der dem Sender ein Horoskop (Steinbock, Aszendent Schütze) ausstellte. Ein Ereignis, das viele Zuhörer erzürnte, die sich sogleich bei Twitter und in den Kommentaren auf der Website Luft machten. Aufgenommen und kontrovers verlängert, aber freilich nicht zu Ende geführt wurde diese Diskussion in der Redaktionskonferenz, die D-Radio Wissen ebenfalls stets überträgt (Montag bis Freitag, 18.30-20.00 Uhr) und an der die Hörer per Twitter, Mail und so weiter teilnehmen dürfen und sollen. Eine Transparenz, die man sonst wohl nur bei der Wikipedia findet (wo man sich über die Definition von „Wissen“ übrigens auch nicht ganz einig ist), deren Übersichtlichkeit im Übrigen D-Radio Wissen auch formal gerne zitiert, etwa in der so genannten „Factbox“.Mit dieser relativen Durchsichtigkeit der vermeintlich autoritären Maschinerie begann schon der Sendebetrieb von D-Radio Wissen. Der 18. Januar 2010 war zwar später als angekündigt, doch die avisierte Uhrzeit wollte man dann doch nicht abwarten. Schon zehn Minuten vor 6 Uhr hörte man eine Redakteurin mit ihrem Kollegen plaudern, ein weiterer kam hinzu, wies sie auf das offene Mikrofon hin, was ihr jedoch offensichtlich nur zu gut bewusst war. Dann folgte eine kurze Stille, schließlich ein frohgemutes „Ja, jetzt sind wir da“. Besser lässt sich die performative Kraft des Radios vielleicht nicht ausdrücken.Auch technisch ist man seiner Zeit voraus. Es gilt die Devise „online first“, fertige Beiträge werden sofort ins Netz gestellt, selbst wenn sie im Programm noch nicht zu hören waren. Und während andere Medien ihre Wissensmagazine schon wieder eingestellt haben, stattdessen nurmehr nach Methoden der Verbreitung ihrer Inhalte suchen, war die D-Radio-Applikation für das I-Phone bereits auf den dritten Kanal aktualisiert und der Sender per digitallem DAB-Standard verfügbar, als er begann, das Wissen unter die Leute zu bringen.Für die Inhalte dagegen gilt, wie eine Redakteurin sagte: „Das ist alles noch nicht komplett fertig. Es soll auch nicht komplett fertig sein.“ Womit der Begriff des Wissens ja eigentlich ganz gut umschrieben wäre.
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