Reizüberflutung hilft immer

Spam-Kolumne Die Spammer kennen viele raffinierte Techniken, um Aufmerksamkeit zu erzwingen. Nun sind sie zur einfachsten aller Werbemethoden zurückgekehrt

Wer mit seinen Werbebotschaften Aufmerksamkeit erringen will, hat verschiedene Methoden zur Verfügung. Er kann zum Beispiel die Wahrnehmungsschranke zu durchbrechen versuchen, indem er allüberall inseriert und plakatiert. Das bringt durchaus etwas, wie die Fachleute wissen, gilt jedoch nicht als besonders schick oder schlau. Für eleganter und effektiver hält man das Hindurchschlüpfen unter der Aufmerksamkeitshürde, direkt hinein ins Unbewusste. Auch diese Technik hat eine lange Geschichte: Die in den 1950er Jahren angeblich in einen Film hinein montierten Millisekunden-Bilder mit den Aufforderungen "Trinkt Coca Cola!" und "Esst Popcorn!" seien hier nur kurz erwähnt; ohnehin handelte es sich um eine Zeitungsente.

Dass Werbung besser wirke, wenn sie nicht als solche erkannt werde, gilt vielen als Devise, sonst gäbe es keine Schleichwerbung, kein Viral Marketing und keine PR-Agenturen, denen der redaktionelle Teil einer Zeitung als bester Anzeigenplatz gilt. An den Erfolg des unbemerkten Eindringens glauben auch die meisten Spammer: Die Absender sind immer verkehrt, die Betreffs haben oft wenig mit dem Inhalt zu tun und Wörter wie Sex, Viagra und ähnliches werden meist falsch geschrieben, damit der Spamfilter – die digitale Prothese unserer Aufmerksamkeitsschwelle – diese Mails nicht gleich von vorneherein aussortiert. Indem Spammer jede Mail ein wenig anders gestalten, keine der anderen gleichen lassen, hoffen sie offenbar, mit Hilfe solch minimaler Abweichungen die notwendigerweise sehr konkreten Vorgaben des Spamfilters zu überlisten. Und nicht ganz zu Unrecht, denn mit Originalität kann dessen Rasterfahndungslogik tatsächlich wenig anfangen.

Schmuggelversuche

Nun aber scheinen sich die Online-Werber der Technik der simplen Reizüberflutung erinnert zu haben. Neuerdings nämlich gehen bei mir nicht mehr nur zahlreiche einzigartige Spams ein, sondern eine wahrhafte Sintflut absolut identischer ergießt sich über meinen Account. Und zwar in Wellen. Das dauert etwa eine Woche, beginnt mit halbstündlichen Sendungen, steigert sich nach drei Tagen auf einen beinahe minütlichen Takt und ebbt langsam wieder ab. Ehrlich gesagt: Das wirkt. Nicht dass ich den "Health Care Inc."-Online-Shop bereits besucht habe, aber vergessen werde ich ihn sowie den Betreff "As seen on OPERA!" wohl mein Leben lang nicht mehr. Eine Wirkung, die zuallererst an der Massivität dieser Werbung liegt, aber auch an dem Wort "Opera", das eben nicht die pompöse Musikveranstaltung meint, sondern die Talkshow "Oprah" der US-Moderatorin Oprah Winfrey, die Spammer nicht selten als angebliche Fürsprecherin missbrauchen, um den Spam als so genanntes Testimonial zu tarnen.

Dass da "Opera" statt "Oprah" steht, ist selbstredend kein Schreibfehler, sondern der übliche Versuch, sich am Spamfilter vorbei zu schmuggeln – der auch gelingen dürfte, sofern man dort nicht das Wort "Opera" indizieren möchte. Was es außerdem bedeutet: "Oprah" scheint sich in den Spamfiltern bereits so gut als Merkmal etabliert zu haben, dass man dieses Wort besser vermeidet, will man nicht gleich im Junkordner landen. Auch ein echtes Original wie Oprah Winfrey kann also der Rasterfahndung durchaus zum Kriterium werden – während die Oper dafür nicht taugen will, weil sie in Werbe-Spams niemals erst gemeint ist, wenn von ihr die Rede ist.

In ihrer Kolumne öffnet uns Katrin Schuster regelmäßig den Blick in die Abgründe und Absurditäten der elektronischen Post. Letztes Mal beschäftigte sie sich mit den Blondinen

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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