Schöner Anachronismus

Radio Rundfunk war gestern - das Webradio wird als ein weiteres Unterhaltungsmedium unter vielen in den PC eingemeindet und die Hörerschaft zerstreut sich. Nicht ganz!

Radiohören war lange anstrengend. Heute bekommt man die einst typische Haltung des Funkfans – das Ohr zum Lautsprecher geneigt, mit den Fingern das Frequenz-Rädchen drehend – nur mehr in Filmen über vergangene Zeiten vorgeführt. Dass das Prinzip Rundfunk so veraltet erscheint (und deswegen konsequent unterschätzt wird), liegt vor allem daran, dass diese Technik ein außergewöhnlich unzeitgemäßes Verständnis von Kommunikation hat. Während Reichweite und Anzahl der Frequenzen den Sendern gleichsam natürliche Grenzen ziehen, wird innerhalb dieser Grenzen alles und jeder beschallt. Wer die Wellen auffängt: gut. Wer nicht: auch gut. Das wirkt befremdlich im digitalen Zeitalter, dessen Bewohner sich daran gewöhnt haben, dass Medien jederzeit und überall verfügbar sind.

Deshalb zieht das Radio ebenfalls ins World Wide Web, findet ebenfalls auf der einen, der lokalen Internetfrequenz statt – und stellt sich dort als Medium vor, das so ganz anders ist, als man es kannte: kein Rauschen, keine Sendemasten und kein extra Empfangsgerät, keine bestimmte Reichweite, aber auch keine eigene Ikonografie des Hörens. Das ist nicht mehr Rundfunk, sondern Netzfunk. Sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Radiosender bauen ihre Webseiten zu Mediatheken um, in denen sich vergangene Sendungen archiviert finden.

Pünktliches Erscheinen vor dem Gerät ist nicht mehr notwendig, die Hörerschaft zerstreut sich. Und zwar nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich: Internetportale wie radio.de, surfmusik.deoder liveradio.de stellen kaum überschaubare Listen von Netzradiosendern zusammen. Wer will, kann also hören, was es im Rundfunk nicht zu hören gibt: den brasilianischen Samba-Sender O Batuque oder den französischen Blackmusic-Sender Nova oder die Podcasts der Washington Post-Journalisten aus dem Irak oder Island Jamz, das nach eigenen Angaben heißeste Internet-Radio der Karibik.

FM steht für Anachronismus

Zu den institutionellen Rundfunkmachern gesellten sich dank der einfachen und preiswerten Handhabe der Technik die privaten Audiokünstler. Eines der besten Beispiele dafür ist das Kuechenradio.org, das seit April 2005 jede Woche eine Stunde Sendung als mp3-Podcast online stellt. Aufgenommen wird, wie der Name sagt, am Küchentisch. Jeweils Dienstagabend laden sich die vier Macher einen Gast zum Reden ein, zur 200. Folge etwa Daniel Schmitt von wikileaks. „Wir wollen Radio machen, wie wir es sonst nicht dürfen: Spontan, roh und ungeplant“, lautet die Selbstbeschreibung der im Hauptberuf professionellen Rundfunkleute.

„Radio machen, wie wir es sonst nicht dürfen“ könnte womöglich die heimliche Parole des Webradiosender byte.fm sein. In der offiziellen Pressemitteilung heißt es jedenfalls, byte.fm bringe „alles, was in der modernen Pop-Musik wichtig ist – gestaltet und moderiert von Journalisten, Musikern und Kennern der Szene. Neue und alte Platten, Interviews und Hintergrund-Informationen über Szenen, Bands, Entwicklungen und Zusammenhänge.“ Moderatoren und Redakteure arbeiten für byte.fm in ihrer Freizeit, viele von ihnen sind ebenfalls bei „normalen“ Radiosendern tätig.

So verwundert es wenig, dass bei byte.fm gerade kein Archiv und keine Podcasts zu finden sind. Byte.fm sendet ausschließlich live, das Kürzel „FM“, das im Radiodiskurs üblicherweise für Frequenzmodulation steht, deutet diesen Anachronismus bereits an. Eine solch melancholische Reminiszenz ist keinesfalls fehl am Platz, denn davon, dass das Webradio einfach in den PC eingemeindet wird – als ein weiterer Unterhalter unter vielen – kann keine Rede sein. Im Gegenteil beginnt die Elektronik-Industrie gerade, spezielle Geräte für den Empfang von Internetradio (und nur dafür!) auf den Markt zu bringen.

Da ist zwar kein Rauschen mehr zu erlauschen. Aber der Drehknopf findet sich doch an überraschend vielen von ihnen. Nur ein ästhetisches Zitat, natürlich. Aber als solches ein durchaus aussagekräftiges und viel versprechendes Detail: Die Einübung einer neuen Hörerhaltung.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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