Es war auffallend ruhig in der Blogosphäre am Sonntagabend und Montagvormittag. Nur ein paar wenige diskutierten über den "krawalligen" (Doris Schröder-Köpf) Auftritt des Bundeskanzlers in der Elefantenrunde. Lag das vielleicht daran, dass man nicht umzugehen wusste mit einem, der sich böse enttäuscht darüber zeigte, dass die Medien ihn fallen ließen und sich dafür stolz auf Volkes souveräne Entscheidung berief?
Denn daran werden Blogs nur ungern erinnert: Die ständige Beschwörung ihrer Meinungsbildungs-Präpotenz hat zwar gefruchtet - alle Zeitungen berichteten über das Phänomen und auch die Parteien bemühten sich um die Blogger -, trotzdem wissen angeblich zwei Drittel der Bevölkerung nicht, was ein Blog ist.
Zur Erklärung: Blog ist ein Kunstwort, das durch die buchstäbliche Synthese der Begriffe Web und Log(buch) entsteht. Ein Blog ist so etwas wie ein persönliches Tagebuch im Internet, wo alles mögliche drin stehen kann; gerne ist da auch von Medien, Politik, Gesellschaft und solchen Sachen die Rede. Nur selten ist dabei Recherche gefragt, der Kommentar ist die häufigste Form, beliebt ob seiner Möglichkeit zur subjektiven Meinung, die nicht weiter zu rechtfertigen ist. Und weil dabei ständig hin- und hergelinkt wird zwischen den verschiedenen Blogs, spricht man von der "Blogosphäre", dem sagenhaften globalen Dorf eben. Der Traum: Die Rückeroberung des Internets durch seine User; die andere Öffentlichkeit; Graswurzeljournalismus. Etcetera.
Doch zu lesen ist davon eher wenig. Ein guter Blog nämlich ist zuallererst einer, der oft erscheint. Nicht unbedingt in der Presse: Diejenigen Blogger, die mit Journalisten (den "schlecht angezogenen Zeilengeldlutschern") oder Politikern (nicht ganz so schlimm) reden, werden gerne bemeckert, schließlich basiert das ganze Selbstlob vor allem auf dem ehrenhaften, subkulturellen Status. Bei Google dagegen (oder noch besser: in den Linklisten bestimmter Blogger) erscheint man gerne - ein guter Platz im Ranking bedeutet Klicks, bedeutet weitere Links, bedeutet schlicht und einfach, dass man wahrgenommen wird.
Die europäischen Blogger klopfen, wenn es um den realen Einfluss der Blogs geht, gerne ihren amerikanischen Kollegen auf die Schulter. Der renommierte CBS-Reporter Dan Rather musste zurücktreten, weil Blogger entlarvt hatten, dass er (unwissentlich) mit gefälschten Dokumenten argumentierte. Zwei US-Reportern warfen Blogger zurecht vor, dass ihre Stories erfunden waren. In Deutschland kümmern sich zwei Medienjournalisten um diese Wahrheiten: Täglich berichten sie auf bildblog.de die Fakten, die die Bild-Zeitung hinter ihren blumig-bösen Schlagzeilen versteckt.
Nicht nur dass Blog-Autoren meist unter ihrem richtigen Namen auftreten - im Gegensatz zum internationalen Karneval der Geschlechter in den Foren und Chatrooms, arbeiten die Blogs tatsächlich an Ent-Fälschung dank Networking: Irgendeiner kennt immer irgendwen, der sich mit irgendwas auskennt, den man mal fragen kann. Natürlich dient das auch der gegenseitigen Kontrolle in Sachfragen, ähnlich wie im Online-Lexikon Wikipedia.
Wenn allerdings Fotos oder Videos im Spiel sind, nimmt die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit vielfach groteske Züge an, die Kontroll- und Korrekturmechanismen geraten schnell in eine gefährliche Nähe zur Überwachung. In England filmen angeblich Jugendliche mit ihrem Handy, wie sie wahllos Passanten verprügeln, um die Aufnahmen nachher ins Netz zu stellen. Im Forum promisichten.de, in dem sich Teilnehmer gegenseitig mit Angaben, welchen Promi sie wo und wann gesehen haben, überbieten, herrschte kurz Verhaltenheit, nachdem man erfahren hatte, dass bei Helge Schneider eingebrochen worden war - ein User hatte zuvor Fotos von dessen Haus eingestellt.
In Blogs kann das gar zur Denunziation ausarten: Am 25. August berichtete der US-Blog boingboing.net von einem Exhibitionisten, dessen Opfer ihn mit dem Mobiltelefon fotografierte und das Bild anschließend im Netz veröffentlichte. Am nächsten Tag, so wurde stolz verkündet, prangte der Mann auf der Titelseite der N.Y. Daily News - ohne dass er unkenntlich gemacht wurde, dafür mit dem entsprechenden Hinweis auf seine Tat. In ihrer Lust an der Öffentlichkeit verlieren Blogger offenbar manches Mal das Augenmaß für den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Selbstjustiz.
In Worten wiederum sparen Blogger ebenfalls nicht an harschen Tönen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth nannte einer "geistesgestörte Empörungsmaschine", und selbst gegenseitig beschimpft man sich liebend gern. Das gehört sogar zu den Regeln "Erfolgreich bloggen - so geht´s" (spreeblick.com). Wie man sich in der Blogosphäre ohne inhaltlichen Aufwand wichtig machen kann, erklärt dieser ironische und gerade deshalb so wahre Text. "Sei mysteriös und gemein", lautet eine Vorschrift. Dass jedoch der Spiegel-Online-Redakteur Frank Patalong und sein Netzwelt-Ressort gerne zur Zielscheibe von Spott und Häme werden, kann er getrost als Kompliment verstehen: Keiner würde so arg an Beleidigungen feilen, wenn ihm deren Wirkungen gleichgültig wären. Im Prinzip nämlich geht es wieder nur um eins (es ist kein Zufall, dass die meisten Blogger männlich sind): dass Papa stolz und bewundernd hinguckt und das Engagement mit einem Link belohnt.
Der größte Wunsch der Blogosphäre allerdings richtet sich an ein Offline-Ranking. Neidisch schielt man auf das Wahlbruder-Verb "googlen", das dort bereits aufgenommen wurde. "Ich will auch in den Duden!" - das ist wohl das eigentliche Anliegen der Blogs. Auch wenn das natürlich keiner zugeben wird: Sobald die Sache offiziell wird, müsste man schließlich mit Inhalten kontern. Und da tun sich die Meisten im Moment noch ziemlich schwer.
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