Kindesmissbrauch macht sich gut im Fernsehen: Langsam gleitet die Kamera über den geschändeten, toten Körper des Mädchens, aus dem Off raunt der Sprecher etwas von "klein und unschuldig", und irgendwo auf dem Waldboden liegt ein rosafarbenes oder geblümtes Kleidungsstück herum. Tatsächlich: Eine minderjährige, missbrauchte Leiche adelt noch jede TV-Toten-Fledderei, auch genannt Crime-Doku. Deshalb kommt ein solcher Fall oft am Ende der Sendung - dann kann man vorher ganz wunderbar damit teasen. Gleich geht´s weiter, bleiben Sie dran!
Und während noch der tote Kinderkörper öffentlich ausgestellt wird, läuft am unteren Rand ein Banner durch den Bildschirm, das für die Komödie am kommenden Abend wirbt. Überhaupt sind die nächtlichen Ausstrahlungen solcher Sendungen lieblich eingerahmt von jenen "Ruf mich an, ich besorg´s dir"-Spots, in denen nicht zuletzt auf jung gestylte Mädchen oder Manga-Minderjährige sich die Lippen lecken und ihre Nippel strecken. Wohlgemerkt nur nachts - vor 24 Uhr ist das natürlich verboten.
Der Umweg führt über die Wirklichkeit: Was in fiktionalen Formaten einen übel obszönen Beigeschmack hätte, hat in jenen, die sich ach so dokumentarisch geben, längst Hochkonjunktur - als würde das Echt-Passiert auch die voyeuristischste Inszenierung noch rechtfertigen. Gerichtsshows oder jene Sendungen, die mit noch expliziteren Bildern das Erbe von Aktenzeichen XY ungelöst angetreten haben, wollen auf sexuell gequälte Kinder und Jugendliche ebensowenig verzichten wie Tageszeitungen oder Magazine. Als jüngst der Vergewaltiger und Mörder der 16-jährigen Carolin vor Gericht stand, war dies das Top-Thema in den RTL2-Abendnachrichten. Und nicht nur dort.
Die Realität ist noch viel perverser, als ihr sie erfinden könntet, lautet die Botschaft an die Zuschauer. Was eine schlichte Lüge ist. Statistiken und Studien sprechen seit Jahren von einem Rückgang der Zahlen (natürlich exklusive Dunkelziffer), während Mediennutzer den gegenteiligen Eindruck haben. Um 260 Prozent, so schätzten die Teilnehmer einer Umfrage des Kriminolgischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, sei die Anzahl der Sexualmorde insgesamt in Deutschland gestiegen zwischen 1993 und 2003. Tatsächlich allerdings wurde ein signifikanter Rückgang in dieser Deliktsparte festgestellt. Während gleichzeitig die Täter immer härter bestraft werden und eine Diskussion über nachträgliche Sicherheitsverwahrung bereits bei Ersttätern einsetzt.
Natürlich brandmarken viele Nachrichten sowie die genannten Sendungen lautstark den Täter als Debilen, Perversen oder sonstwie Verrückten. Dass dem beileibe nicht so ist, wusste schon Richard von Krafft-Ebing, der den Begriff "Pädophilie" überhaupt erst prägte. In seiner Psychopathia Sexualis (1903) stellte er fest: "Leider muss zugegeben werden, dass eine nicht geringe Zahl dieser und oft gerade der scheußlichsten Unzuchtsdelikte von nicht Geisteskranken begangen werden [sic], [sondern] von Individuen, die aus Übersättigung im natürlichen Geschlechtsgenuss, aus Geilheit oder Rohheit nicht selten im angetrunkenen Zustand so weit ihrer Menschenwürde vergessen."
So "weit" der Menschenwürde vergessen haben andere bereits zuvor: Viele Jugendzeitschriften bieten nicht mehr nur Informationen für Heranwachsende, sondern sexualisieren die Teenager in diesem Rahmen weitestgehend. Liebhaber der Erotik junger Mädchen kommen hier ganz legal auf ihre Kosten: In den Foto-Love-Stories - wo früher höchstens zart geküsst wurde - scheut man längst nicht mehr zurück vor ziemlich nackten Stellungs-Tatsachen und Rein-Raus-Dialogen wie "Oh, jetzt, ich kann nicht mehr warten - Ich auch nicht, ich komme, Fabi - ich komme!". Die Modestrecken argumentieren ohnehin am liebsten mit dem Wort "sexy", ein paar Seiten weiter kann Mädchen das "Penis-Einmaleins" erlernen. Big Brother wiederum zeigt beinahe jede Nacktszene der jüngeren weiblichen Insassen in Loops und Slow Motion und unterlegt sie mit Soft-Porno-Geklimper. Um 19 Uhr, zur schönen Sendezeit. Der Umweg führt über die Wirklichkeit: In einem Spielfilm oder einer Serie dürfte eine solch platt sexistische Sequenz zu Beanstandungen führen - mindestens aus feministischen Kreisen.
Eine Augenweide für jeden Humbert Humbert-Epigonen war auch die RTL-Serie Schulmädchen. Aus dem Pressetext: "Sexy und hip gestylt ... mischen die vier süßen Luder ihre Mitschüler ... ordentlich auf und bringen ihre Lehrer gründlich zum Schwitzen." Wo man eigentlich um das Problem weiß, dass Pädophile sich vielfach für einen pädagogischen Beruf entscheiden, werden plötzlich die Schutzbefohlenen zu lüsternen Lolitas. Die wollen es doch auch! Ohne genau diese Wechselwirkung und Verkehrung von Realität und Fiktion wär´s schließlich nicht halb so erregend. Oder anders: Die Hauptdarstellerin der Sat1-Trilogie Natalie - Endstation Babystrich wäre wahrscheinlich niemals zu einem Playboy-Shooting gebeten worden, wenn sie nicht zuvor eine minderjährige Prostituierte gespielt hätte.
Wüsste man es nicht besser, ließe sich auch der Missbrauch von seinem romantischen Gegenstück kaum unterscheiden. In einer ihrer jüngsten Ausgaben veröffentlichte die Zeitschrift GIRL! eine Reportage über ein Mädchen, das jahrelang von ihrem Großvater vergewaltigt wurde. Ihr "erstes Mal" schildert sie in exakt denselben Worten wie die ebenfalls im Heft enthaltenen positiven Erlebnisaufsätze: "Dann drang er in mich ein."
So wird die Erotik von Kindern und Jugendlichen zur vielleicht erfolgreichsten Schnittstelle aller nur virtuell zu befriedigenden Sehnsüchte (das Fernsehen würde sich überflüssig machen, wenn es deren reale Erfüllung nicht gleichzeitig streng verurteilen würde). Zu Sex und Gewalt gesellt sich ein Hauch von Metaphysik - jene unablässige, von Mitleidsheuchelei durchtränkte Rede von den "Opfern". Auch wenn es so aussehen mag: Um Individuen geht es dabei nicht. Sondern um billige Körper, aus denen sich, gerade weil sie zuvor missbraucht wurden, noch einmal Kapital schlagen lässt.
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