Bisher wurden hierzulande meist nur afrikanische Autoren weißer Hautfarbe publiziert. Deon Meyer, Roger Smith oder auch J.M. Coetzee. Aber es gibt natürlich auch andere. Der Roman Unter den Augen des Löwen von Maaza Mengiste zum Beispiel. Als sie vier Jahre alt war, verließ ihre Familie Äthiopien. Das war 1975, ein Jahr nachdem der Kaiser Haile Selassi gestürzt worden war und das Militär die Macht übernommen hatte. Der Umbau zu einem repressiven, kommunistischen Regime hatte da gerade begonnen.
Von dieser höllischen Zeit, als Leichen auf den Straßen lagen und überall Verrat lauerte, erzählt der Roman. Der Löwe, das äthiopische Wappentier, fand sich auf der Landesfahne, der Kaiser selbst bezeichnete sich als solcher und hi
als solcher und hielt sich mehrere zahme Exemplare. Nicht zuletzt die Aufnahmen der reichhaltigen Fütterung der kaiserlichen Löwen befeuerten den von Studenten getragenen Aufstand, der sich im Namen einer hungernden Nation gegen den Patriarchen wandte und in die Herrschaft der Militärjunta mündete – gegen die sich im Untergrund bald der Widerstand formierte.Im Zentrum steht eine Familie und eine Geschichte von alttestamentarischer Wucht: Jeder wird im Angesicht der politischen Ereignisse irgendwann gezwungen, jene Entscheidung zu treffen: Wie viel meines privaten Glücks bin ich bereit zu riskieren, um Gerechtigkeit zu erlangen? Jeder beantwortet diese Frage anders, doch keine Antwort birgt eine helle Zukunft in sich.Ein Lied aus der VergangenheitNahe am zehnten nördlichen Breitengrad liegt Free Town, Hauptstadt von Sierra Leone und Handlungsort des Romans Ein Lied aus der Vergangenheit der 1964 in Glasgow geborenen, in Sierra Leone aufgewachsenen Schriftstellerin Aminatta Forna.Trotz der geografischen Entfernung klingt er beinahe wie eine Fortsetzung von Mengistes Unter den Augen des Löwen. Forna schreibt über die Nachwirkungen eines Bürgerkriegs, der zeitlich sehr viel näher liegt als der äthiopische: 2002 wurde er offiziell für beendet erklärt, erst 2010 wurden die letzten Blauhelme aus Sierra Leone abgezogen. In dieses kaum verheilte Land kommt der britische Psychologe Adrian, um die unsichtbaren Wunden in Augenschein zu nehmen, wenn möglich sogar zu behandeln. Er teilt seine Wohnung mit dem Chirurgen Kai, der keinen Schlaf mehr findet, weil in Sierra Leone Gliedmaßen schneller abgehackt wurden (ein „Markenzeichen“ der Revolutionary United Front), als er sie retten kann. Der eine will nicht mehr zurück nach England, der andere nur noch weg. Die Historie wirkt in beiden Familien weiter und trägt fürchterliche Früchte: Wer den Krieg überlebt hat, hat den Krieg noch lange nicht überlebt.Hagel auf Zamfara„Wer war ich zu glauben, Kunst könne irgendjemanden in Lagos retten?“, lautet die Erkenntnis des Ich-Erzählers in Die Gesetzlosen, einer von elf Kurzgeschichten aus dem Erzählband Hagel auf Zamfara von Sefi Atta, die 1964 in Lagos geboren wurde und heute in Mississippi lebt.„Der Bürgerkrieg lag Jahrzehnte zurück, und Nigeria war jetzt eine Nation, geeint im Chaos“, und deshalb verwandelt sich eine studentische Theatergruppe in eine Einbrecherbande, die jede Nacht in einem anderen gut situierten Haushalt das Drama der fiesen Kerle aufführt, zuhause aber keiner Kakerlake etwas zuleide tut, denn „die versuchen auch nur zu überleben, genau wie wir“.Auch in den anderen Erzählungen aus Hagel auf Zamfara dominiert die Kritik am postkolonialen Rassismus, der sich am Leid Afrikas delektiert und bereichert, Souveränität und Bildung höchstens verwundert zur Kenntnis nimmt und in den USA kaum anders klingt als in Nigeria. Ähnlich deutlich kommen die sexuelle Gewalt und sexuelle Diskriminierung zu Wort, deren begehrteste Opfer schon immer die dunkelhäutigen Frauen waren.HeimsuchungenJumping Monkey Hill heißt eine der Erzählung aus dem neuen Kurzgeschichtenband Heimsuchungen von Chimamanda Ngozi Adichie. Sie wurde 1977 in Enugu geboren und lebt heute teils in Nigeria, teils in den USA.Den Titel darf man – Adichie scheut die bösen Pointen genauso wenig wie ihre Kollegin Sefi Atta – durchaus zynisch verstehen: Denn in dem südafrikanischen Urlaubsresort Monkey Hill will ein britischer Literaturprofessor die Puppen für sich tanzen lassen: Eine Handvoll afrikanischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller hat er zum Workshop geladen, um die Frauen mit obszönen Zoten zu traktieren – und sie für unbegabt zu erklären, falls sie darüber nicht lachen können.Eine kanzelt er ab, sie schreibe „keine richtige Erzählung mit richtigen Menschen“, einer anderen wirft er vor, „homosexuelle Geschichten dieser Art spiegelten nun wirklich nicht Afrika wider“. Noch immer liegt die Definitionshoheit über die Literatur und das Verständnis von Wahrheit und Fiktion nicht in den eigenen Händen, will diese Erzählung sagen. Schon gar nicht, denkt man beim Lesen, wenn es sich um weibliche Hände handelt.Eine nächtliche FührungDass auch jede Übersetzung die Frage nach dem kolonialistischen Gestus der „Eindeutschung“ aufwirft, reflektiert am eindrücklichsten Philo Ikonya, die 1959 unweit von Nairobi geboren wurde und aktuell in einem unsicheren Exil in Oslo lebt.Helmuth A. Niederle schreibt in seinem Nachwort zu Eine nächtliche Führung, er habe seine Übersetzung nicht für den „westlichen bzw. nördlichen Leser zurechtgeschnitten und geputzt“ und die Ecken und Kanten belassen. Das geht allerdings auf Kosten der Lesbarkeit. Ikonyas feministischem Furor und der intellektuellen wie atmosphärischen Dichte der Geschichte über die Journalistin Rika, die durch Hauptstadtnächte streift, um den kenianischen Prostituierten Gehör zu verschaffen, wird die deutsche Fassung nicht gerecht. Die Frage also, wie ein antikolonialistisches Übersetzen aussehen könnte, bleibt unbeantwortet.Im besten Fall wird sie irgendwann einfach nicht mehr gestellt werden, denn tatsächlich wächst die Welt, wie man so sagt, mit jedem Tag schneller zusammen. Der Schatten, den Europa über Afrika geworfen hat und der den „westlichen bzw. nördlichen“ Blick weiterhin zu vernebeln scheint, lichtet sich unübersehbar. Vor allem bei Philo Ikonya, die luzide, mitleidslos und mit einem untrüglichen Wissen um die existenzielle Notwendigkeit des Menschlichen eine Literatur von globaler Bedeutung schafft, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.