Unwillkommener Besuch

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Man wollte gerade nicht in der Haut der Reporterin Güner Balcı stecken. Nicht nur, weil sie in der vergangenen Woche an der Seite jenes Thilo Sarrazin durch Kreuzberg spazierte, der vor einem Jahr ein Buch veröffentlichte, in dem er ausgerechnet ihrer „Rasse“ - Entschuldigung, ich meinte natürlich: ihrer„Ethnie“ eine „lange Tradition von Inzucht und entsprechend viele Behinderungen“ nachsagte, um in klassischer Verschwörungsrhetorik fortzufahren: „Es ist bekannt, dass der Anteil der angeborenen Behinderungen unter den türkischen und kurdischen Migranten weit überdurchschnittlich ist. Aber das Thema wird gern totgeschwiegen.“

Nein, ich beneide Güner Balcı auch deswegen nicht, weil sie daraus nun einen Beitrag für die Kultursendung Aspekte schneiden muss, der in jedem Fall den Vorwurf bekommen wird, unausgewogen zu sein: Sieht man nur, wie Sarrazin von den Kreuzbergern als Nazi und Rassist beschimpft wird (das Video führt die Junge Freiheit freilich stolz in ihrem Youtube-Kanal), dann werden sich zurecht diejenigen beschweren, die versucht haben, mit Sarrazin ein fast normales Gespräch zu führen. Und zeigt man nur diese fast normalen Gespräche, dann wird es Beschwerden hageln, dass hier eine sog. „Deutschen-Diskriminierung“ vertuscht würde.

Andererseits: Der Fehler liegt im System. Wer angeblich „ein ernsthaftes, tiefergehendes Gespräch zwischen Sarrazin und den Menschen, über die er in seinen Statistiken schreibt“, anstrebt (so zitiert der Focus Güner Balcı), der sollte es diesen Menschen auch möglich machen. Die Obst- und Gemüsehändler auf dem „Türkenmarkt“ hatten aber offensichtlich keine Ahnung, was da auf sie zukommt, Sarrazins Buch natürlich nicht gelesen, sondern nur die Stimmung vernommen, die es im Land erzeugte. Gerade dass Sarrazin nicht als Normalbürger, sondern mit Kamera und Reporterin auftauchte, dürfte die Erregung noch weiter geschürt haben: Die Öffentlichkeit stand unmissverständlich und von Anfang an auf seiner Seite. Oder anders gesagt: Ohne Sarrazin interessierte sich eine Kamera und eine Reporterin nun wirklich nicht für diesen Markt und dessen Händler.

Beinahe noch bitterer finde ich den anderen Termin, der auf der Liste stand, jenen Besuch im Restaurant Hasir, der zwar verabredet war, aber ebenfalls wegen der wütenden Menge vor der Tür scheiterte. Diese wütende Menge mag deutlich über die Stränge geschlagen haben, aber sie hat mithin besser als der Restaurant-Besitzer verstanden, dass Sarrazin und das Aspekte-Team ihn bloß als Parade-Beispiel für den brav arbeitenden und entsprechend erfolgreichen Migranten vorführen wollten. Wer sich nur ordentlich bemüht, der schafft es auch …

Der wohl wichtigste Grund, warum das Projekt misslingen musste, ist allerdings: Bereits durch den Versuch, „ein ernsthaftes, tiefergehendes Gespräch zwischen Sarrazin und den Menschen, über die er in seinen Statistiken schreibt“, herbeizuführen, hat Güner Balcı dem Autor Sarrazin und seinen Thesen recht gegeben. Denn diese Menschen sind leider genauso erfunden, wie jene angeblich allüberall bekannten, obwohl zugleich ja total totgeschwiegenen Behinderungen unter türkischen und kurdischen Migranten. Und genau dieser Erfindung ihrer Identität galt schließlich der Protest der wütenden Menge, deshalb auch die Beschimpfung Sarrazins als „Rassist“. Ehrlich: Mir fällt für einen Mann, der Menschen auf ihr genetisches Material reduziert und Behinderte ganz selbstverständlich als minderwertig begreift, leider auch kein anderes Wort ein. Dem Protagonisten geht es freilich anders: Der tituliert sich in der Bildzeitung als „verdienter ehemaliger Senator, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, außer ein Buch mit unwillkommenen Zahlen und deren Analysen zu schreiben“. Na dann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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