Es ist gar nicht so schwierig, im deutschen Web zum kurzzeitig einhelligen Thema zu werden: Man muss sich nur in einer nicht völlig unbekannten Zeitung kritisch bis polemisch über das Internet äußern, dann schreit die Online-Gemeinde sofort auf und legt sich mächtig ins Zeug, um rhetorisch bis an die Zähne bewaffnet zurück zu bellen. Dann gelten wieder alle Journalisten als arrogante, unmoralische Typen, die nur ihre eigene Macht im Blick haben und sich furchtbar fürchten vor der Demokratisierung der Informationshoheit. Jüngst davon betroffen: Frank Schirrmacher, Feuilleton-Herausgeber der FAZ, und Bernd Graff, Vize-Chef von Sueddeutsche.de. Zu einer echten Auseinandersetzung mit Schirrmachers Text Wie das Internet den Menschen verändert und Graffs Artikel über Die neuen Idiotae: Web 0.0 kam es selten, stattdessen fielen die Worte "Schmierschrift", "Blähungen" und "Quatschkopf der Woche".
Nicht minder blind für die eigene Zunft verurteilte Graff in der SZ ein Medium, das sich zwar in vielen, aber eben nicht allen Dingen vom Gedruckten unterscheidet. Natürlich gibt es im Netz nicht nur Netzeitung und Niggemeier, sondern auch jede Menge Porno, Verschwörung und Rassismus - genau wie es auf Papier nicht nur FAZ und SZ, sondern auch Bild-Zeitung, Matrix3000 und Junge Freiheit gibt. Ob digital oder analog: Medien geht es um gesellschaftliche Kommunikation und Aufmerksamkeit, und das bedeutet, dass auch seltsame Gestalten darin zu Wort kommen (dürfen) und das Spektakel stets die meisten Zuseher hat. Das war vielleicht schon zu vorschriftlichen Zeiten so, das änderte auch Gutenberg nicht und das klappt ebenso gut im Internet; der Weg vom menschlichen Gehirn übers Papier zum Silicium-Halbleiter ist oft gar nicht so lang, wie er erscheint. Schließlich haben die Verteidiger des Internets völlig recht, wenn sie auf die verteufelnden Worte verweisen, die einst die Einführung des Buchdrucks begleiteten und denen Bernd Graffs doch arg ähneln.
Dass die Idiosynkrasien der jeweils anderen Seite immer deutlicher zutage treten, deuten Blogger als Anstieg der eigenen Relevanz und konservative Printmedien als Enthüllung der wahren Gestalt des Internets. Beides ist nicht ganz verkehrt, verfehlt aber den Kern der Auseinandersetzung. Denn im Grunde geht es wie jedes Mal um mediale Autorität und deren Geldwert - Onlinepublizisten haben sich die Anzweifelung des Ersteren auf die Fahne geschrieben, den gedruckten Zeitungen ist momentan vor allem an Letzterem gelegen. Daher die andere Allianz, die SZ und FAZ geschmiedet haben: Während sie gegen Blogs und ähnliches nur rein rhetorisch Front machen, haben sie ihre schärferen Waffen für den Perlentaucher aufgehoben und Klage gegen das durch seine Feuilleton-Presseschau bekannt gewordene Portal eingereicht, das "Rezensionsnotizen" aus Buchkritiken kommerziell verwertet. Das Stichwort lautet "geistiges Eigentum".
Just deshalb scheiterten die beiden Verlage gerade in mittlerweile zweiter Instanz. Das Urheberrecht gründet unter anderem auf einem Gedanken von Johann Gottlieb Fichte von 1793, der das geistige Eigentum an der unveräußerbaren Originalität der "Form" festmachte: "Was aber schlechterdings nie jemand sich zueignen kann, weil dies physisch unmöglich bleibt, ist die Form dieser Gedanken, die Ideenverbindung, in der, und die Zeichen, mit denen sie vorgetragen werden." Das klingt überraschend digital und spricht ganz im Sinne des Perlentaucher, da dessen Arbeit zwar im Zitieren und Zusammenfassen der "Gedanken der anderen" (FAZ) besteht, die Originalität dieser Texte aber nicht bestritten werden kann. Die nächste Instanz ist dennoch bereits angerufen, das Analoge reibt sich weiterhin wund an typisch digitalen Techniken wie dem Samplen und dem Link.
So erscheint das Verhältnis von Urheberrecht und Internet zunehmend virulent. Je besser die Speichermedien öffentlich zugänglich werden, umso weniger lässt sich deren Nutzung kontrollieren; was die einen als freien Zugang zur Information loben, gilt den anderen als unzulässiger Missbrauch von Eigentum. De facto lässt sich das Digitale wohl nicht als geistiger Besitzstand wahren, weil es keinen Begriff von Originalität hat und in Stückzahlen schlecht berechnet werden kann. Es ist also durchaus vorstellbar, dass - sicher nicht sofort, aber doch irgendwann - das Publizieren wieder zu der vereinzelten Liebhaberei wird, die es einmal war, bevor die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Journalismus als Stellvertreterfunktion des Publikums einsetzte. Dass freie Mitarbeiter immer weniger verdienen und bereits heute viele kostenlos nutzbare Webseiten qualitativ hochwertiger sind als manche Printprodukte, ist kein Geheimnis. So ändert das Internet natürlich den Menschen, wie Frank Schirrmacher titelte - wie eben noch jede mediale Umwälzung den Menschen geändert oder in seiner aktuellen Variante namens "bürgerliches Subjekt" überhaupt erst erfunden hat. Dass sich gegen dessen Abschaffung Widerstand regen würde, war zu erwarten gewesen. Aber die Technik wird vermutlich mal wieder schneller sein.
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