Walt Disneys wunderbare Welt

Ausstellung In Steamboat Willie hatte Micky Maus im Jahr 1928 seinen ersten vertonten öffentlichen Auftritt. Eine Südstaaten-Melodie pfeifend steht er am Steuer ...

In Steamboat Willie hatte Micky Maus im Jahr 1928 seinen ersten vertonten öffentlichen Auftritt. Eine Südstaaten-Melodie pfeifend steht er am Steuer eines Raddampfers (dieses Talents zum lebemännischen Halunken ist er später verlustig gegangen) - jedoch nur so lange, bis der Kapitän Peg-leg Pete (Kater Karlo im Deutschen) eintritt, Mickys Bauch wie Kaugummi zu sich heranzieht und diesen kleinen Maus-Matrosen verscheucht, der dem Chef höchstens hinterrücks die Zunge herausstreckt.

Die Bereitschaft des stets nachgiebigen Angestelltenkörpers zur Metamorphose ist nicht nur fürs Buckeln nach oben gut, sondern dient mindestens in gleichem Maße den Freuden im Privaten: Als ein Ziegenbock Minnies Gitarre auffrisst, wird er kurzerhand zu einer Spieluhr umfunktioniert, woran Micky so großen Spaß hat, dass er schließlich alle Tiere an Bord als Musikinstrumente gebraucht. Was damalige Zuschauer vermutlich sofort erkannten, war das Zitat im Titel: Steamboat Bill, jr. hieß ein Buster-Keaton-Stummfilm, der in demselben Jahr erschien.

Im Grunde ist in Steamboat Willie also bereits der ganze Kosmos des Walt Disney enthalten. Wie sich das Nostalgische, das Anthropomorphe und das Intertextuelle durch dessen Werk ziehen und auf welche Quellen es sich dabei stützte, will nun eine Ausstellung in der Münchner Hypo-Kunsthalle zeigen. Walt Disneys wunderbare Welt und ihre Wurzeln in der europäischen Kunst besteht zuallererst darin, optische Ähnlichkeiten vorzustellen, denen zumeist tatsächlich schwer zu widersprechen ist: Filmfotografien von Fritz Langs Metropolis hängen neben einem Bild von Schneewittchen im gläsernen Sarg; eine Wand weiter laufen auf zwei Leinwänden Szenen aus Disneys Fantasia und Szenen aus Friedrich Wilhelm Murnaus Faust von 1926 oder dessen Nosferatu von 1922 nebeneinander her. Ausschnitte, erste Skizzen oder Hintergrundentwürfe aus der Disney-Fabrik werden flankiert von einer ungewöhnlich stattlichen Anzahl mehr oder weniger großer Namen. Als Vorbilder der Zeichentrick-Landschaften und -Architekturen werden Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus bemüht, für die anthropomorphen Tiere Honoré Daumier und Heinrich Kley, für Hexen, Feen und zarte Mädchengestalten wiederum Ludwig Richter, Moritz von Schwind und Philipp Otto Runge. Und in glittergüldenen Glaskästen ruht ein Teil des Bestände der Disney-Bibliothek, um ebenfalls nichts anderes zu behaupten als eben dies: Seht her, wir Werke der europäischen Kunsthistorie sind die Quellen dieser unbändigen Kreativität!

Was dabei unerwähnt bleibt, ist nicht allein die Tatsache, dass die jeweiligen Motivgeschichten natürlich weiter zurückreichen als bis zum Jugendstil, zum Expressionismus oder in die Romantik. Noch kenntlicher ist aber die Weigerung dieser Ausstellung, Disneys Vorliebe für bestimmte Epochen wenigstens ansatzweise einer Deutung zu unterziehen; als hätte sie keinerlei Aussagekraft. Auch Walt Disneys Engagement für den republikanischen Senator Joseph McCarthys kommt nur am Rande - als für die Mitarbeiter unverständliche bis ärgerliche Angelegenheit - zur Sprache. Dass die Schau Walt Disneys wunderbare Welt derart offensiv einen politischen Kommentar zu diesem Mann zu vermeiden sucht, indem es seine Arbeit als rein ästhetische Angelegenheit präsentiert, ist schon dreist zu nennen. Als Kurator sollte man besser ein Bewusstsein für den gesellschaftlichen Einfluss massenmedialer Phänomene beweisen. Denn wer sich dieses erspart, der verkauft nicht nur die Museumsbesucher für dumm, sondern sich selbst gleich mit. Solches Schweigen wird dann nämlich äußerst unmissverständlich beredt.

Walt Disneys wunderbare Welt und ihre Wurzeln in der europäischen Kunst. Bis 25. Januar 2009 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung. Der Katalog kostet 25 EUR

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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