Wohlfühl-Ausgabe

Sondernummer Die "taz" will das Thema mit Migrationshintergrund völlig normaldeutsch behandeln und macht deswegen eine Sonderausgabe: Das passt irgendwie nicht zusammen

Die Deutschlandflagge ziert die heutige taz, nachlässig hingekritzelt wie von Kinderhand. Im schwarzen Balken steht "Ein schöner Land" in einer Typografie, die eine Handschrift imitiert. Der Grund für diese ästhetische Positionierung im Grundschulalter bleibt im Dunkeln. In dem gelben Balken der Fahne findet sich unter der Zeile „Fragen sich:“ eine Liste von bekannten Namen. Aber wie lautet denn die Frage? Ob Deutschland ein schöneres Land ist? Oder ob es ein schöneres gibt?

Als Arbeitstitel, so erklärt das Editorial der Sondernummer, fungierte zunächst "Made in Germany" – ein Label, das einst die Briten den deutschen Produkten verpassten, um den Boykott dieser ausländischen Ware zu erleichtern, auf dass die heimische Bevölkerung auch ökonomisch national handeln könne. Allein, bei der taz hat man sich anders entschieden und auf eine Abwandlung des Liedtitels Kein schöner Land des deutschen Heimatschriftstellers Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio gesetzt, der sich integrierte, indem er sich Wilhelm von Waldbrühl nannte. Schade eigentlich.

Zwei Praktikanten und eine Volontärin tragen die Verantwortung für die Sondernummer, aus der sie, wie sie erklären, ihr "Ding" machen wollten. Dieses Ding bestand daraus, 50 mehr oder weniger Prominente einzuladen, über Migration und Integration zu schreiben und einige Seiten der Ausgabe auch selbst zu verantworten. So etwas hat man bei der taz schon des Öfteren gemacht, und deshalb enttäuscht dieses Konzept ein wenig, auch wegen des naiven Gestus, mit dem die Sondernummer auftritt. Nicht dass die einzelnen Artikel für sich genommen nicht interessant, spannend oder bereichernd wären; es findet sich da – das Interview mit Thilo Sarrazin einmal ausgenommen, auch diese Integration glückt also problemlos – nur nichts, das man nicht auch in jeder anderen Ausgabe der taz hätte drucken können. Warum dann eine Extra-Ausgabe? Damit Sarrazin auch einmal in der taz etwas wohl noch wird sagen dürfen?

Einzelmeinungungen, Fallberichte

Das Paradox, das diese Sondernummer darstellt, indem sie sich von Anfang an gegen etwas wendet, das sie selbst unternimmt, wird kaum in den Blick genommen. Das beginnt schon in dem Editorial: Die drei Ausnahme-ChefredakteurInnen weisen zu Anfang auf ihre "Migrationshintergründe" hin, um zwei Spalten später festzustellen: "Ihr, die Deutschen, wir die Migranten – auf diese Trennung hatten wir keine Lust mehr." In der Ausgabe ist dann allerdings ein ums andere Mal von dieser Trennung die Rede, „die Anderen“ werden erst als solche markiert, um dann unter der deutschen Flagge integriert zu werden. Keine „Lust“ auf Differenzierungen zu haben müsste irgendwie anders aussehen.

Überhaupt mangelt es ein wenig an theoretischer oder philosophischer Grundierung des Themas, das sich folglich in lauter Einzelmeinungen oder Fallberichte aufsplittet. Es fehlt, kurz gesagt, ein ordentlicher, gerne auch selbstreflexiver Leitartikel. Dafür gibt es eine ganzseitige Gegenüberstellung von Klischees über Deutsche und Türken. Das mag in Schülerzeitungen immer ganz lustig sein und vielleicht noch, wenn es auf der Wahrheit-Seite der taz steht, weil die das Böse solcher vermeintlichen Ironisierungen sozialer Klischees immer bestens auf den Punkt bringt. Hier aber schmeckt das nach dem faden Bemühen um Kurzweiligkeit.

Dass man von Normalität nie exponiert reden kann, weil man sie damit immer schon zur Ausnahme erklärt, ist freilich kein Problem, dem sich allein die taz mit dieser Sonderausgabe gegenüber sieht. Jedoch hätte man es ihr wohl am ehesten zugetraut, diese Unmöglichkeit zum Thema zu machen und nicht bloß mehr oder weniger bedenkenlos darüber hinweg zu schreiben. So ist es am Ende wohl leider doch in vielen Teilen jene "Wohlfühl-taz" geworden, die sie laut Editorial gerade nicht sein soll.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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