Zucker für den Klammeraffen

Spam-Kolumne Doppelpunkt, Bindestrich, Klammer - fertig ist das Angesicht. Emoticons haben sich in der digitalen Unterhaltung durchgesetzt, gerade auch in den Spam-Mails

Als sich im Jahr 1982 ein paar heitere Debatten über wenig ernst gemeinte physikalische Versuchsanordnungen im elektronischen Diskussionsforum der Pittsburgher Carnegie Mellon Universität entspannen, handelte es sich dabei um „Spam“ im besten Sinne. Bereits zu dieser Zeit geisterte das Wort als Bezeichnung für vermeintlich überflüssige oder gar störende öffentliche Schriftwechsel durch die (zuerst nur lokalen) Netzwerke von Rollenspielern. Allerdings gehörte der Begriff noch nicht zum Hausgebrauch – und so wurde die für einige Teilnehmer offenbar ärgerliche Pittsburgher Angelegenheit anders gelöst: Der damals 34-jährige Informatiker Scott E. Fahlman schlug vor, den Ironiegehalt der Beiträge auf dem digitalen schwarzen Brett fortan mit Doppelpunkt, Bindestrich und Klammer – :-) – zu indizieren. Fahlman schränkte allerdings sogleich ein, angesichts der aktuellen Entwicklungen sei es womöglich ökonomischer, Beiträge zu markieren, die keine Scherze sind. Und zwar mit dem Zeichen :-(.

Damit war das Emoticon erfunden. Es hilft seither nicht nur bei der Interpretation der Online-Kommunikation, indem es die Semantik von Mimik und Gestik als Tastenkombination verfügbar macht, sondern beweist zudem ein jedes Mal wieder, wie konkretionsfähig ein Leser sein kann, wenn er in drei aneinandergereihten Satzzeichen ein Gesicht erkennt. Fahlmans Hinweis „Lest es quer“ ist längst unnötig geworden, Emoticons haben sich in der digitalen Unterhaltung durchgesetzt und dabei stetig weiter entwickelt, auch in und durch Spam-E-Mails. Wenn „Julia Shepard“ sich mit den unmissverständlichen Worten „I'm so horny“ anbietet, dann wissen auch Analphabeten, worum es geht – dank dem Signifikantenbild 3 =), das die Frau bereits in der horizontalen und auf Geschlechtsmerkmale reduzierten Position zeigt, in die sie sich auch rhetorisch begibt.

Dagegen ist kein Filter gewachsen

„Acuna Ducksworth“ verliert sogar noch weniger Worte. Die Wirkung des angepriesenen Medikaments wird stattdessen als Vorher-Nachher-Imago vorgeführt: „This is your penis: 8--o. This is your penis on drugs: 8=====O.” Dass die Frage „Any questions?” den Link auf den Onlineshop markiert, ist konsequent: Auf solche Bilder kann man nur mit einem ästhetisch ähnlich eindeutigen Text antworten, das heißt bestenfalls: dem Ausfüllen eines Bestellformulars für Potenzpillen.

Gegen Emoticon-Spam helfen nicht einmal Spamfilter, vielmehr: helfen gerade keine Spamfilter. Wenn Computerprogramme eines noch immer nicht erfolgreich imitieren können, dann ist es just jener menschliche Blick für die optische Qualität von Zeichen, der im Buchstabenwald auch Signifikate sieht, die mit Doppelpunkten, Bindestrichen, Klammern und Ähnlichem eben nichts außer der Form gemein haben. So wirft dieser Spam seinen Leser auf doppelte Art und Weise auf dessen Körperlichkeit zurück: indem er diese forsch thematisiert und sich ihrer zugleich tatsächlich buchstäblich bedient, um die Differenzen zwischen Wort und Ding vergessen zu machen. So einfach lässt sich also eines der spätestens seit Gutenberg größten Probleme der Literatur lösen. ;-)

In ihrer Kolumne öffnet uns Katrin Schuster regelmäßig den Blick in die Abgründe und Absurditäten der elektronischen Post. Letztes Mal beschäftigte sie sich mit dem Spammer als Journalisten

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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