Wie bitte? Kein Spielzeug?! – So sieht meistens die Reaktion aus, wenn ich erzähle, dass in der Kita meiner Kinder derzeit das Projekt „Spielzeugfreie Kita“ durchgeführt wird. Die meisten Menschen empfinden es intuitiv als „falsch“, den Kindern ihr Spielzeug wegzunehmen. Eine Bekannte erzählte gar davon, dass ihre Kindheit sehr traumatisch gewesen sei, da ihre Eltern auf irgendeinem Post-68-Anti-Kapitalismus-Tripp beschlossen hatten, ihre Kinder seien ohne Spielzeug besser dran.
Das Projekt wurde erstmals vor gut einem Jahr bei einem Elternabend vorgeschlagen. Man muss dazu sagen, dass diese Kita (privater Träger) eine Montessori-Ausrichtung hat, eine Integrations-Kita ist (also auch Kinder mit Behinderungen ganz normal dort hingehen, dafür gibt es eine eigens ausgebildete Fachkraft) und auch sonst: manchmal etwas unkonventionell angehaucht ist. Öko-Essen und ein Auge auf einigermaßen Geschlechter-Balance bei den ErzieherInnen sind selbstredend. (Nein, wir wohnen nicht im Prenzlauer Berg und nein: Ich finde das nicht schlimm elitär, ich würde mir allerdings wünschen, dass so etwas Standard ist, vor allem auch, was das Betreuungsverhältnis angeht.) Deswegen denken die ErzieherInnen dort auch ständig nach, was man noch Gutes für die Kinder tun könnte, sie bilden sich regelmäßig fort (was allerdings mittlerweile meines Wissens in Berlin Vorschrift ist), evaluieren und machen Supervision. So kam also auch dieses bereits seit 1993 erprobte Projekt auf den Tisch. Natürlich waren auch wir Eltern erst einmal skeptisch – die meisten von uns. Ich hingegen fand die Idee von Anfang an sympathisch.
Das mag daran liegen, dass ich die ersten sieben Jahre meines Lebens auf dem Land, man könnte sagen: tiefste Provinz, in der DDR gelebt habe. „Wir hatten ja nichts.“ – Gut, nichts ist etwas übertrieben. Aber es gab immer einen Mangel. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gut an eine Szene im Buchladen: Ich wollte gerne das Buch Der Traumzauberbaum haben. Der Buchhändler sah mich kritisch an und erklärte mir, dass es viel zu teuer für mich sei und mein Vater mir das bestimmt nicht kaufen könne. Nun konnte der Mann nicht ahnen, dass mein Vater lieber an anderen Stellen sparte, als an Büchern oder Schallplatten. Dass mein komischer Vater bereits seit frühester Jugend ein Außenseiter war, da er sein ganzes Geld in diese – für ihn – Schätze investierte. Mein Vater also würde mir immer ein Buch kaufen. Und tat es auch. Aber normal war das in der Tat nicht gerade. Viele Bücher hatte ich trotzdem nicht gerade. Das Spielzeug insgesamt war sehr überschaubar. Aber mir fehlte nichts.
Im Kindergarten gab es Puppen, Pferde, Autos und Fahrräder. Es gab natürlich Spielzeug. Was ich aber von damals nicht kenne, sind diese „Ausstattungen“ für Draußen. Eimer, Sandburgmauerförmchen, Harken, Schippen… Wenn wir im Freien spielten, und das taten wir sehr oft, dann bedienten wir uns des Schrats, der in der sehr bäuerlichen Gegend eben herumlag. Oder wir benutzten Stöcker. Wir gruben Fallen und legten aus Stöckern und Blättern eine Tarnung darüber. Wir zerrieben Ziegelsteine so fein es ging und machten aus dem Roten Pulver seltsame Zaubertränke. Wir – wie unsere Eltern – improvisierten wo immer es ging. Nutzten unsere Phantasie. Stießen an die Grenzen des Verfügbaren. Lernten Entbehrung. Den Überfluss lernte ich erst nach 1989 kennen. Aber da war ein gutes Stück meiner Prägung gelaufen. Und ja: Ich glaube wirklich, dass mich diese Zeit geprägt hat. Dass es sich sehr positiv auf meine „Lebenskompetenzen“ auswirkte.
Die Entdeckung des Kindes
Natürlich ist Spielzeug nicht gerade die Ursache alles Bösen auf dieser Welt. Im Gegenteil: Gutes, kreativitätsförderndes, liebevoll ausgesuchtes Spielzeug ist für Kinder sicher gut. Aber lang ist seine Geschichte noch nicht. Es begann erst ungefähr im Mittelalter, dass die Menschen – allen voran Handwerker mit Kindern – explizit Spielzeug für ihre Kinder herstellten. Vor der „Entdeckung des Kindes“, die ungefähr zeitgleich mit der Etablierung des Bürgertums um 1700 kam, war die Kindheit als eigenständige Lebensphase überhaupt nicht beachtet. Man dachte kaum darüber nach, dass Kinder etwas brauchten, was sich von den Alltagsgegenständen der Erwachsenen unterschied. Natürlich spielten Kinder auch damals: Doch sie improvisierten stets. Sie zogen nach draußen und nutzten – ebenso wie wir in meiner Kindheit – den Schrat, den sie eben bekommen konnten. Und genau solch eine Situation wird nun arrangiert: Entbehrung in einer Zeit des Überflusses. Plötzlich kommt es im Kita-Alltag auf ganz andere Kompetenzen an. Die ErfinderInnen des Konzepts, das auch zur Suchtprävention gedacht ist, sprechen von „Lebenskompetenzen“ und meinen damit: „Umgang mit Sprache, Beziehungsfähigkeit, verstärkte Wahrnehmung persönlicher Bedürfnisse, Entwicklung von Selbstvertrauen“.
Für meine Kinder freue ich mich sehr: Die Kita bietet ihnen damit die Möglichkeit, noch einmal ganz anders die eigenen Grenzen und auch kreativen Fähigkeiten kennen zu lernen. Und auch Frustration auszuhalten. Denn in der Welt, in der sie sonst leben, gibt es beinahe alles. Mir selbst ist das manchmal unangenehm. Gerade nach der neuerlichen Spielzeugschwemme an Weihnachten (ich sage das immer so dramatisch, dabei durfte ich neulich erfahren, dass es bei uns noch nahezu „dezent“ zugeht und dass im Bekanntenkreis manche Eltern bald anbauen müssen, damit deren Kinder all ihr Spielzeug unterbringen können) bin ich wirklich froh, dass dieses Überangebot auch einmal in Frage gestellt wird. Tut es uns eigentlich gut? Eine Frage, die ich auch an uns Erwachsene richte. Man muss ja nicht gleich leben wie Reiner Langhans. Aber aus Solidarität und auch, um mich selbst ein bisschen von diesem Zuviel zu entlasten, habe ich gerade eine Twitter-, Facebook-, Tiny-Wings- und Angry-Birds-Pause eingelegt. Und ich fühle mich angeregt, einmal den ganzen überflüssigen Mist zu entrümpeln, der das Leben angeblich einfacher machen soll, aber vor allem eins tut: unbenutzt rumstehen. So wie viele der gutgemeinten Spielsachen unserer Kinder.
Katrin Rönicke schreibt in dieser Kolumne über Gender- und Bildungsthemen, zuletzt über allgemeine Bildungsstandards. Sie kolumniert in der Regel mittwochs im Wechsel mit Verena Reygers, die sich mit Genderthemen in der Musikbranche befasst
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