Es ist legitim, zu fragen, welche Menschen in einem Diskurs zu Wort kommen, und welche nicht. Doch wenn man Menschen aus Aussehen, Herkunft oder Alter einen Strick dreht, schwächt man unter Umständen ein Anliegen.
Wer feministisch agieren will und diese Haltung in seine Arbeit hinein trägt, begibt sich häufig allein deswegen auf glattes Eis, weil andere sich nicht widergespiegelt sehen. Aussehen, Alter, Herkunft und Bildung - das sind nur einige Kategorien, entlang derer sich ja auch wirklich einige Ausgrenzungen in der Gesellschaft abspielen. Es wird aber zu einem Dilemma, wenn man überall nur noch absichtliche Ausgrenzungen sieht. Ein Beispiel: In einem feministischen Popkulturmagazin, das sich immer wieder auch mit Mode befasst, werden Kleidungsstücke vorgestellt. Die Frauen, die man hierfür ablichtet sind keine Models, sondern vielleicht Freundinnen oder Bekannte der Blattmacherinnen, die man eben dazu überreden konnte. Es wird dann eventuell vorkommen, dass kritische LeserInnen des Magazins sich darüber beschweren, dass nur "normschöne", weiße Frauen eines bestimmten Alters dargestellt würden. Das ist eine Art und Form der innerfeministischen Kritik, die momentan sehr in Mode ist.
Einfach "sein"
So zu lesen etwa in einem Vortrag über Intersektionale Perspektiven auf den Slutwalk: „Von weißen normschönen Heteras, die für ihr Recht sexy sein zu dürfen auf die Straße gingen“. Aber ab wann ist eine Frau eigentlich "normschön"? Muss ich mich selbst auch so einordnen und darf ich deswegen nicht mehr so präsent sein? In den Augen mancher bin ich vielleicht eine "normschöne" Feministin. So wie die jungen Frauen, die in meinem eingangs geschilderten Beispiel, in der Modestrecke im feministischen Magazin, auch "normschön" waren. Aber magersüchtig bin weder ich, noch sie. Wir haben uns nicht operieren lassen, oder liften. Darf man noch "einfach sein", also wie man ist?
Ob als Feministin, als Amateur-Model, als Politikerin, als Wissenschaftlerin, als Vegetarierin oder Veganerin in einem Online-Forum: Ist das in Ordnung? Oder muss man wirklich allein deswegen jetzt irgendwo fern bleiben, weil man jung, weiß und angeblich "normschön" ist und damit wieder einmal dazu beigetragen hat, dass alle, die diesem Bild nicht entsprechen, unsichtbar gemacht werden?
Eine ähnliche Debatte erlebte ich jüngst im Zusammenhang mit dem fünften Geburtstag des feministischen Blogs Mädchenmannschaft. Auf der Veranstaltung, die ein Mix aus Workshops und Party war, gab es einen Workshop von einer der Autorinnen der Mädchenmannschaft, Hannah Wettig. Sie ist professionelle Journalistin und als solche regelmäßig in Nord-Afrika unterwegs. Die arabische Revolution hat sie vor Ort miterlebt und so bot sie einen Workshop zur Rolle der Frauen in den Arabischen Revolutionen an (in Analyse & Kritik hat sie dazu auch schon einen ausführlichen Artikel veröffentlicht). Im Nachhinein warf man ihr vor, dass eine Weiße hier über die (nicht anwesenden) arabischen Frauen geredet habe. Dies sei Rassismus.
Vielfalt als Wert an sich
Es sind Konflikte wie diese, die zeigen, dass man kein Umkehrargument daraus machen kann. Weder aus dem Aussehen, der Herkunft noch dem Alter oder dem Bildungsgrad sollte man denen, die sich engagieren – sei es nun feministisch, antirassistisch, für mehr soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit – einen Strick drehen. Denn sie engagieren sich und wollen die Welt verändern. Darauf kommt es an. Das finden auch die Autorinnen eines weiteren Artikels aus der Analyse & Kritik, der sich kritisch mit dem Konzept der Critical Whiteness auseinandersetzt. „Ein Antirassismus, in dem nur diejenigen zu Wort kommen sollen, die als 'Opfer' davon betroffen sind, reduziert den gesamten emanzipatorischen Inhalt eines solchen Projekts auf eine Art Interessenvertretung oder sogar Generalversammlung eines Mainstreams der Minderheiten.“ Finden die Autorinnen und setzen sich dagegen ein, dass Menschen nur, weil sie weiß seien, nicht an den Diskursen teilhaben dürften.
Natürlich ist und bleibt es ein Dilemma. Wenn wir Vielfalt und Diversität fördern wollen, dann müssen wir auch aktiv darauf achten, dass Menschen vertreten werden, die man gerne „übersieht“, denen man nicht aktiv eine Stimme in öffentlichen Diskursen einräumt. Dazu gehört es auch, an den entsprechenden Stellen, sei es in den Medien, auf Konferenzen oder in der Vernetzungsarbeit, aktiv daran zu arbeiten, dass nicht nur eine homogene Gruppe unter sich das Feld besetzt. Mehr Vielfalt und Diversität: Das bleibt ein Wert an sich.
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