Der Kampf der Herkunftseliten

Schulsystem Nicht nur in Hamburg wird über eine Reform gestritten: Obsiegt beim Volksentscheid der Klassendünkel über die Bildungsgerechtigkeit?

Ob nach dem Volksentscheid die erste schwarz-grüne Koalition in einem deutschen Landesparlament weiter bestehen kann? Die Lage in Hamburg ist angespannt. Nicht mehr und nicht weniger steht auf dem Spiel, als der Beweis für die Machbarkeit einer schwarz-grünen Zusammenarbeit. Wenn das mit der Schulreform klappt, dann haben wir eine gemeinsame Zukunft, lautete die grüne Devise nach der Senatswahl. Auch die hanseatische CDU kämpfte für diese Zukunft. Mit seinem engagierten Einsatz für die Schulreform brüskierte Bürgermeister Ole von Beust die eigene Klientel und Unionspolitiker aus ganz Deutschland.

Eine Woche vor der brisanten Abstimmung begannen „Parteifreunde“, medienwirksam gegen ihn und seine Schulreform zu wettern. Baden-Württembergs Kultusministerin Marion Schick grätschte gegen von Beust mit den Worten, manche hingen aus ideologischen Gründen der Fantasie an, dass die Gemeinschaftsschule die soziale Schichtung abbauen würde. Kurz vor dem Volksentscheid machten dann auch Spekulationen über einen baldigen Rücktritt des Bürgermeisters die Runde.

Die so genannte Primarschule, die in Hamburg am Sonntag beim Volksentscheid zur Abstimmung steht, ist eine sechsjährige Grundschule. In Berlin und Brandenburg ist sie bereits Realität. Im Saarland will das Jamaika-Bündnis ein fünfjähriges Modell einführen. Ursprünglich hatten sich die Grünen in Hamburg, allen voran die heutige Schulsenatorin Christa Goetsch, für neun Jahre gemeinsamen Lernens eingesetzt – was aber deutlich auf sechs Jahre reduziert wurde, um für die CDU kompromissfähig zu sein. Anlass für die Pläne sind Studien wie IGLU oder PISA. Sie zeigen: Eine frühe Selektion wirkt sich vor allem zum Nachteil von Kindern aus sozial schwachem Milieu oder mit Migrationshintergrund aus.

Arbeiterkind gegen Vorstands-Nachwuchs

Genau diese Kinder sind Stein des Anstoßes für die Hamburger Initiative „Wir wollen lernen!“, die gegen die Primarschule Front macht. Vordergründig geht es ihr um Qualitätssicherung an den Schulen. Man wolle lediglich eine „Absenkung des Schulbildungsniveaus“ vermeiden. Es sind ­besagte Kinder der Unterschicht und Ausländerkinder, die als fleischgewordenes Symbol für diese Absenkung gelten. Gemeinsames Lernen mit ihnen ist für viele Eltern allenfalls für vier Jahre Grundschule vorstellbar – was darüber hinaus geht, wird als Zumutung betrachtet. Bei einer Demonstration der Initiative im Februar ließ sich ein Vater fernsehwirksam aus: „Ein Arbeiterkind kann vom Kind eines Vorstandsvorsitzenden profitieren, aber nicht umgekehrt, und das ist nicht zu verantworten!“

Auch in Nordrhein-Westfalen bahnt sich Protest gegen die dort geplante Schulreform der rot-grünen Minderheitsregierung an. Hannelore Kraft von der SPD und Sylvia Löhrmann von den Grünen hatten sich gleichermaßen im Wahlkampf für ein gerechteres Schulsystem an Rhein und Ruhr ausgesprochen. Nun soll die Quote der Gemeinschaftsschulen bis 2015 auf 30 Prozent steigen – und wieder sind es die Eltern, die auf die Barrikaden gehen. Dabei waren die Ziele im Koalitionsvertrag eigens besonders offen und unkonkret formuliert worden, um einen „Schulkampf“ wie in Hamburg zu vermeiden. Doch wo es dem Gymnasium an den Kragen geht – sei es durch eine Verkürzung der Schuljahre „von unten“ oder gar durch Zusammenlegung mit anderen Schulformen – gibt es Geschrei.

Märchen der Leistungseliten

Dabei wird stets das alten Märchen der Leistungseliten neu erzählt. Vordergründig wollen die rebellierenden Eltern keine soziale Ungerechtigkeit im Schulsystem. Behaupten sie. Wer Leistungen bringt, der muss auch gefördert und belohnt werden. Was können bürgerliche Kinder dafür, dass die anderen so schlecht sind?

Wer so argumentiert, will sich nicht mit der Tatsache befassen, dass Kinder aus besserem Hause unabhängig von ihrer Leistung vier bis fünfmal häufiger den Weg auf das Gymnasium angeboten bekommen, als Kinder aus unteren Schichten. Eine Ghettoisierung der Bildungsarmen nehmen sie in Kauf, wenn ihre Kinder so wie sie selbst ganz vorne in der Gesellschaft stehen können. „Ein von X steht nicht im zweiten Glied. Das gibt es überhaupt nicht,“ lautete ein Beitrag zur Bildungsdebatte eines aus ostelbischem Adel stammenden Personalberaters. Es sind nicht Leistungseliten, die hier kämpfen, es ist die Herkunftselite.

Katrin Rönicke ist Autorin und schreibt unter anderem für die maedchenmannschaft.net

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ich bin... einfach so; ich bin nicht... so einfach

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