Tillmann Bendikowski hat ein Buch geschrieben, das vermutlich vielen nicht gefallen wird. Es rüttelt an allzufesten Überzeugungen, die in diesem Land vielleicht so manifest sind, wie nirgendwo sonst: am Bild der Mutter. Der Mutter an und für sich. Denn Tilmann Bendikowski wurde genau das: eine Mutter.
Seine Mutterwerdung schildert er gleich zu Beginn von Allein unter Müttern, einem Buch, das bisweilen bitterböse ist, aber stets mit einem zwinkerndem Auge und nie ohne den nötigen Respekt für das Allzumenschliche. Zum Beispiel im Massagekurs für Babys, der Ort, an dem Mütterlichkeit regiert. Unhinterfragt. Konkurrenzlos. Bendikowski drang ein in diese durch und durch weibliche Sphäre und als sein Kind aus nachvollziehbaren Gründen anfing zu brüllen, passierte es: Die Kursleiterin wollte das Kommando übernehmen. Mit den gebieterischen Worten "DAS KIND BRAUCHT EINE MUTTER!" (sich selbst meinend) schubste sie den jungen Vater dahin, wo er von nun an und für den Rest des Buches sein würde: Seine Antwort lautete "Ich bin die Mutter!" Er rettete sich und seinen Sohn aus dem Kurs nach Hause. Dort kuschelten Mutter und Kind für den Rest des Tages und mieden fortan solche Kurse, die es für Babys en Masse gibt.
Frauen führen hier das Regiment
Dass Bendikowski sich fortan als "Mutter" bezeichnet ist vermutlich ein Affront – gegenüber Müttern wie Konservativen gleichermaßen. Wer sich hieran stört, wird das Buch insgesamt als eine Frechheit betrachten. Es spart nicht mit Hohn und Spott. Es ist ein Einblick in eine Welt, die bislang nur der einen Hälfte der Bevölkerung theoretisch offensteht: Die Welt der Alltagsorganisation rund um Kinder und Familie. Eine Welt, in der Frauen das Regiment führen, in der man Männer für das dumme Geschlecht hält. Eine Welt, die bislang fast ausnahmslos von Müttern selbst betrachtet wurde. In der Literatur, im Fernsehen, im Film – immer sahen wir durch die Augen einer Frau.
Mit Bendikowski aber sehen wir mit den Augen einer "männlichen Mutter". Wir erleben Kinderschuh-Käufe, bei denen sich die Verkäuferin qua Geschlecht über die Kompetenz der männlichen Mutter erhebt. Nur eine von vielen übergriffigen Aktionen gegen sie. Wir erkunden, warum und wie Frauen über Frauen und Mütter über Mütter herziehen. Wie sich mittels Impfdebatte und Bio-Laden gegeneinander abgegrenzt wird. Und wie "normal" das Ritual des Sich-Abgrenzens mittlerweile ist – so beliebt sogar, dass Buzzwords wie "Latte Macchiato-Mutter" und "Feigheit der Frauen" Bücher und Talkshows füllen. Bendikowski verschont niemanden, dennoch solidarisiert er sich mit Müttern. Er ist ja eine von ihnen.
Dass Geschlecht schon von den ersten Tagen an "gemacht" wird, regt ihn ebenso auf, wie die moderne Erziehungshysterie und die Inszenierung von glücklicher Kindheit beim Kindergeburtstag (den man, was ich gar nicht wusste, von Menschen schon so organisieren lassen kann, wie eine Hochzeit von einem Wedding Planner). Bendikowski hat mich während des Lesens oft zum Lachen gebracht. Nahezu auf jeder Seite. Der Humor ist seine Waffe gegen alle festgefahrenen Gesetze der Mutterschaft. Und davon gibt es viele: Angefangen bei der Reinlichkeit im Haushalt, über die Frage "Kekse oder Kuchen", bis hin zur gesunden Ernährung – Mütter haben strenge Verhaltenskodizes entworfen. Sich ihnen zu widersetzen, kommt einer moralischen Bankrotterklärung gleich.
Das kommt nicht von ungefähr: Der Druck der Gesellschaft lastet schwer auf ihren Schultern. Sie tragen nahezu allein die Verantwortung über das Wohl und Wehe der lieben Kleinen. Sie sind im Zweifel schuld. Schuldgefühle – der Autor hat ein feines Gespür für diese subtile aber wirkungsvolle Waffe, die wie ein Damoklesschwert ständiger Begleiter einer Mutter ist.
Was der Autor schafft, ist, durch die Beschreibung dieser Kodizes, durch ihre Überspitzung und das zwinkernde Auge einen Raum zu eröffnen, in dem man darüber lachen darf. Indem man es in Frage stellen darf. Und damit: Es selbstbewusst auch einmal anders machen. In Bendikowski fand ich einen Verbündeten. Einen der es genauso fragwürdig findet, Söhne ausnahmslos zum Fußballtraining schicken zu müssen. Der als einer von ganz wenigen den Instrumente-Zwang und die Unhinterfragbarkeit musikalischer Früherziehung skeptisch beäugt.
Eine kleine Hoffnung
Man muss nicht fragen, ob es einen Mann brauchte, diese Dinge in Frage zu stellen. Das brauchte es sicherlich nicht – viele Mütter vor ihm haben diese Fragen schon gestellt. Konnten darüber lachen. Doch genau wie er, waren auch sie oft ein bisschen die Außenseiterinnen – auf Spielplätzen, bei Elternabenden, im Kiez. Wer gewisse "Trends" und "Sitten" nicht mitmacht, ist oftmals ein kleiner Alien. Ob Mutter oder Vater. Was aber nach der Lektüre des Buches als Hoffnungsschimmer für uns Außenseiter-Mütter bleibt: Die Chance, dass ein Mehr an männlichen Müttern ein Weniger an Verhaltenskodizes mit sich bringen könnte. Eine schwache kleine Hoffnung.
Am Ende hat Bendikowski ein echtes Mutmachbuch geschrieben. Ein Lustmachbuch auf das "Abenteuer Familie", das allen Überspitzungen zum Trotz, eingebettet in die ganz alltägliche Absurdität des Menschlichen, als ein lohnenswertes Unterfangen geschildert wird. Ein Unterfangen, dass vielleicht noch ein bisschen spaßiger werden könnte, wenn mehr männlich-mütterliche Gelassenheit Einzug hielte in das Reich der heiligen Brüste.
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