Mehr als 100 indische Polizistinnen stellten die erste rein weibliche UN-Friedenstruppe. Ihr Einsatzort: Liberia
Foto: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images
Auf dem internationalen Film-festival in Toronto stellten die Regisseurinnen Sharmeen Obaid-Chinoy und Geeta Gandbhir Anfang September ihr neuestes Werk vor: A Journey of a Thousand Miles: Peacekeepers. Der Film ist die Dokumentation des Einsatzes einer UN-Friedenstruppe aus Bangladesch in Haiti, die nur aus Frauen besteht. Mit dem Film will Gandbhir die stereotypen Vorstellungen durchbrechen, mit denen asiatische Frauen – und gerade Muslimas – oft konfrontiert werden. Zudem will sie auf die Notwendigkeit der Präsenz von Frauen in Konfliktgebieten aufmerksam machen. In Haiti war es zuvor zu sexuellen Übergriffen durch die Blauhelmsoldaten gekommen.
„Frauen und Kinder in Konfliktzonen sind eine extrem verwundbare Gruppe – sie müssen beschützt werde
eschützt werden und die Präsenz von Frauen kann helfen, das sicherzustellen“, sagte Gandbhir in einem Interview. Der Film zeige auch, dass der Einsatz in Haiti für viele der Frauen „ein Weg zur Selbstermächtigung war“. Und die Menschen vor Ort hätten sich weniger bedroht gefühlt als durch die Präsenz von Männern.Was die Frauen aus Bangladesch im Jahr 2010 schafften, gelang auch in Liberia. Die indische Blauhelm-Truppe, die 2010 dort stationiert war, bestand ebenfalls nur aus Frauen. Liberia befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits 14 Jahre in einem Bürgerkrieg, über 200.000 Menschen waren umgekommen. Vergewaltigungen, Kindersoldaten und ein extrem patriarchales Gesellschaftsgeflecht bestimmten den Alltag. „Was Frauen in die Mission einbringen, ist mehr Sensibilität und mehr Fürsorge“, erklärte die Präsidentin von Liberia und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf. Der neue Weg zeigte Wirkung: In Liberia gingen die Sexualstraftaten durch UN-Blauhelme mit der Präsenz der Frauentruppen signifikant zurück.Besser ohne WaffeDoch Friedenssicherung beginnt schon viel früher als mit den Einsätzen vor Ort: Die Konzepte, auf denen solche Einsätze basieren, entscheiden darüber, ob Gewalt eingedämmt werden kann oder sie zu einer endlosen Spirale mutiert. Mary Kaldor ist die Urheberin des Begriffes der „neuen Kriege“, der hierzulande vor allem durch den Politikwissenschaftler Herfried Münkler Verbreitung fand. Kaldor bezieht sich vor allem auf ihre Beobachtungen im Kosovo. Sie und ein Offizier der US-Army, Shannon D. Beebe, suchen in dem Buch Unsere beste Waffe ist keine Waffe nach einer anderen Form der Konfliktlösung, einer, die sich an der veränderten Situation der neuen Kriege orientiert, die in erster Linie keine Kriege zwischen Staaten, sondern Staatszerfallkriege sind. Jene Kriegsformen, wie sie in den Konfliktregionen Afrikas und im Nahen Osten am häufigsten anzutreffen sind.Das Konzept der „menschlichen Sicherheit“, das Kaldor und Beebe in ihrem Buch vorstellen, ist ein Versuch, bisherige Pfade der Konfliktlösung zu verlassen, denn diese beruhten meist vor allem darauf, den Gegner zu eliminieren. Kriege gingen so aber stets zu Lasten der Zivilbevölkerung. An erster Stelle steht für Kaldor und Beebe dagegen das Primat der Menschenrechte. Sie wollen nach einem Bottom-up-Ansatz verfahren, neue legitime politische Strukturen schaffen – alles viel stärker in Zusammenarbeit mit den Betroffenen vor Ort, als dies gemeinhin bei Militäreinsätzen geschieht. Ihr Schwerpunkt liegt auf einer zivilen Führung: Das Militär müsse sich auf eine Art verhalten, Regeln und Regularien befolgen, die eher typisch für Polizeiarbeit als für Kampfeinsätze seien.Filmemacherin Geeta Gandbhir bestätigt, dass die Frauen, die sie in ihrer Doku über Haiti porträtierte, näher an diesem Ansatz waren, wenn sie erzählt: „Ich habe bemerkt, dass Frauen viel stärker an Zusammenarbeit mit der Bevölkerung interessiert waren als an einer Null-Toleranz-Politik oder an aggressiven Taktiken und Methoden.“ Den Blauhelm-Frauen geht es mehr um Verständnis und Dialog. Natürlich sind sie trotzdem bewaffnet, zur Verteidigung.Kriege, in denen man mit zivilen Mitteln gegen Gewalt vorgeht? Es ist schwer, sich das vorzustellen – kann man da nicht nur als Verliererin herauskommen? Ein Grund dafür, dass uns das Umdenken so schwer fällt, ist auch das Jahrtausende alte Bild des Kriegers: Er ist stark, schwer bewaffnet, männlich, hat den Feind stets im Blick und würde sein Leben – und wenn es sein muss, auch das vieler anderer – für „die Sache“ opfern. Hier kommt das Modell der „militarisierten Männlichkeit“ ins Spiel, das sich mit militarisierten männlichen Identitätskonzepten befasst.Das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung hat sich mit Expertinnen auf einer Tagung ausgetauscht, welche Wirkmechanismen diese Identitätskonzepte auslösen. In dem Tagungsbericht heißt es: „Bilder von Männlichkeit und Mannhaftigkeit, von Frauenleben und Weiblichkeit spielen bei der Austragung von Kriegen und bewaffneten Konflikten eine große Rolle. In der Institution Militär wird in der Regel zur Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen in jeder Gesellschaft der Prototyp einer gesellschaftlich anerkannten, hegemonialen Männlichkeit herangezogen, der in Milizen und Söldnertrupps Entsprechungen hat. Auf der anderen Seite existiert das Bild der – zu beschützenden – Frauen und Kinder.“Ein Bild, das zu kurz greift, wenn man aus der Gewaltspirale tatsächlich herauskommen will. Die alten Helden – bewaffnete Männer, die zu allem bereit sind – müssen vielmehr durch neue Heldinnen ersetzt werden. Und diese sollten weder stereotyp weiblich – und somit als Opfer – auftreten, noch sich dem „Ideal“ militarisierter Männlichkeit unterwerfen.Wirkmächtig ist diese Geschlechterzuschreibung auch auf der Ebene der politischen Entscheidungsmacht. Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages ist auf Parlamentsebene für die vertiefte Auseinandersetzung in der Sicherheitspolitik zuständig. Im Sommer 2014 fand eine öffentliche Sitzung des Ausschusses zu der Frage statt, ob Deutschland für die Bundeswehr eigene Kampfdrohnen anschaffen sollte. Eingeladen waren acht Experten, die aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern ihre Einschätzung zur Frage abgeben sollten. Allesamt Männer. Im Ausschuss selbst sitzen ebenfalls überwiegend Männer – immerhin ist seit 2013 mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau Chefin im Verteidigungsministerium. Ob sie es noch länger sein wird, bleibt momentan wegen der Plagiatsvorwürfe abzuwarten.Ein Role Model, gerade für jüngere Frauen, ist Agnieszka Brugger, Jahrgang 1985. Sie sitzt seit 2009 für die Grünen im Bundestag und ist nicht nur Mitglied des Verteidigungsausschusses, sondern auch Mitglied und Obfrau des Unterausschusses „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“. Darüber hinaus ist sie Sprecherin ihrer Fraktion für Fragen der Abrüstung. Sie mischt sich in die Debatte über Krieg und Frieden ein, weil sie das wichtig findet, weil ihr nicht egal ist, was auf der Welt passiert – und sei es noch so weit weg. Ginge es nach ihr, würde sich Deutschland stärker in den Vereinten Nationen engagieren als in der NATO, würde die Verteidigungspolitik stärker zur Wahrnehmung der Schutzverantwortung dienen.Die Weichen neu stellenManchmal wird Brugger belächelt, weil sie noch so jung ist, so viele Piercings hat. Egal. Sie spricht mit den Betroffenen aller Seiten und bildet sich gewissenhaft ihre Meinung. Solche Frauen brauchen wir noch mehr in der Politik. Und ebenso Expertinnen, die zu Anhörungen eingeladen werden. Sie alle könnten die Weichen neu stellen.Noch leben wir in einer Welt, in der Männer als die natürlichen Helden gelten. Sie sind es, denen man Stärke und die Macht zu beschützen zuspricht. Doch sie hatten auch die Macht, eine Weltordnung und eine Logik von Krieg zu entwerfen, die auf Waffen und Siegen basiert. Wenn wir eine Welt wollen, in der neue, von Frauen entwickelte Prämissen an Einfluss gewinnen, müssen Frauen auch dazu bereit sein, diese im Ernstfall vor Ort durchzusetzen – bislang erklären sich vor allem Frauen aus Indien und Bangladesch dazu bereit. Und in Syrien kämpfen kurdische Frauentruppen gegen den IS. Sie alle zeigen: Wir müssen endlich selbst Heldinnen werden.
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