Nackt für die Welt

Kolumne Den Wikipedia-Artikel über Schwangerschaft illustriert das Bild einer nackten Frau. Nun wird debattiert: Was darf man online zeigen?

Konkret geht es im fraglichen Artikel um das Bild einer nackten Frau in der 26. Woche ihrer Schwangerschaft. Das Bild ist auch in der deutschsprachigen Wikipedia zu sehen. Problematisch an diesem Bild ist vor allem, dass man die Frau sehr gut erkennen kann. Auch in der dazugehörigen Diskussion zum Artikel, wie sie in der Wikipedia gute Tradition ist, werden Befürchtungen geäußert, dass das Einverständnis der betreffenden Frau eventuell nicht gegeben sein könnte. Hinzu kommt, dass nicht einmal geklärt ist, ob die Lizenz für dieses Foto wirklich Creative Commons, also eine freie Lizenz, ist. Dass darüber immer noch diskutiert wird, obwohl es berechtigte Zweifel an zwei sehr entscheidenden Punkten gibt, ist eigentlich eine Farce.

Win-Win-Situation?

Unabhängig von diesem konkreten Fall stellt sich eine ganz allgemeine Frage: Wann und wie sind nackte Frauen in einer Enzyklopädie erlaubt, hilfreich oder gar notwendig? Darüber diskutieren weltweit Menschen auf einer eigens zum Thema „Gender Gap in der Wikipedia“ eingerichteten Mailingliste. Die einen finden, dass es für jeden „medizinischen Artikel“ wichtig sei, dass die relevanten Körperstellen komplett dargestellt werden. Diese medizinisch Argumentierenden sind wenigstens konsequent, wenn sie sagen: Hände auf dem Babybauch wollen sie genau deswegen auch nicht. Vollkommen entblößen, bitte. Sonst ist es medizinisch irrelevant und dient nur einem billigen „hach“-Effekt.

Solche „hach“-Bilder, auch darüber wird sich irritiert geäußert, zeigen nicht selten die Frau des Fotografen. Der stolze zukünftige Vater möchte eben der ganzen Welt zeigen, wie toll seine Frau mit diesem Babybauch aussieht. Ist es nicht eine totale Win-Win-Situation, wenn das dann auch noch mit einem wissenschaftlichen Mehrwehrt für die ganze Welt einhergeht und medizinisch relevante Bilder liefert?

Sue Gardner, Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation, wirft sich in die Debatte. Sie stellt die Frage, ob Schwangerschaft denn wirklich in erster Linie eine medizinische Angelegenheit sei. Zudem hegt sie Zweifel: Muss die Wikipedia wirklich ein Ort sein, an dem alle möglichen und unmöglichen Körperstellen komplett entblößt und in Großaufnahme zu sehen sein sollten, weil es der medizinischen Allgemeinbildung der Menschheit diene? Gardner berichtet darüber, dass sie schon oft verwundert gewesen sei: Wenn eine bunte Vielzahl von Bildern, auf denen operierte Brüste, verlängerte Fingernägel, Haar-Extensions oder brasilianisch gewachste Körperregionen dargestellt seien, einen Artikel illustrierten, dann bekäme dieser einen seltsam sexualisierten Beigeschmack. Das seien ja alles typische Porno-Codes.

Brüste für die Medizin?

Andererseits ist es in der Wikipedia Usus, die eigene Familie oder den eigenen trainierenden Sportverein zu fotografieren und einzustellen. Und ja: Nicht wenige Frauen haben gewachste Geschlechtsteile oder verlängertes Haar – nicht nur in den USA. Das Denkmal nebenan; die Kaffeetasse auf deinem Frühstückstisch; der Zebrastreifen vor deiner Tür – theoretisch kann die gefräßige Wikipedia von all diesen Dingen ein Bild brauchen. Wieso also nicht von deiner Frau? Wenn es doch einem medizinischen Wissen dient, dass du ihre Brüste einstellst? Sollte dann nicht auch die gesamte Vielfalt der Mode und Schönheitsvorstellungen abgebildet werden? Oder das eigene goldige Baby – es ist doch so schön, wenn die Wikipedia mit vielen netten Fotos bereichert wird, oder? Andere lästern und überspitzen die Intentionen hinter Privatbildern: “Here is a picture of MY baby smiling, straight from my smartphone. He is so cute you're a Nazi if you refuse publication.”

Es deutet sich in diesen Fragen ein kleiner Konsens an. Man will nun schauen, wie andere medizinische Enzyklopädien ihre Artikel bebildern. Welche Best Practices es dort gibt. Die eigenen Richtlinien und Ansprüche verfeinern und aufpeppeln – das wird wohl der Weg in Richtung Professionalität und Seriosität. Ein bisschen schade vielleicht, verlöre die Wikipedia damit definitiv einen kleinen Schmunzel-Faktor. Aber doch begrüßenswert im Ganzen, denn ungeklärte Hintergründe, wie bei der schwangeren Nackten, sollten definitiv ein No-Go sein.

Katrin Rönicke schreibt in ihrer zweiwöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Diese erscheint immer montags im Wechsel mit Verena Reygers Gender-Musikkolumne.

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Geschrieben von

Katrin Rönicke

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