Es war 2012, als ich Twitter und Facebook den Rücken kehrte. In den darauffolgenden zwei Jahren suchte ich nach Wegen, mich im Netz nicht mehr so unwohl zu fühlen, so eingeengt und unfrei. Ich stürzte mich in Loriot-Sketche, zu denen ich Rotwein trank. Ich besuchte andere Plattformen, machte Sport, traf öfter Freunde, schrieb Tagebuch und fotografierte mehr. Seit 2014 bin ich zurück an den Orten, von denen ich floh – und um eines gleich vorwegzunehmen: Flucht behebt nicht das Problem, das sich durch Facebook und Twitter für mich ergab. Aber ich habe diese zwei Jahre Abstand gebraucht, um eine Lösung zu finden, die mich besser wappnet. Ich nenne sie „digitale Resilienz“.
Vieles habe ich mir dazu aus der Psychologie abgeschaut, die sich schon seit längerem mit der Resilienz als einer Form der Stabilität und Widerstandskraft in Krisen beschäftigt. Resilienz hat mit Akzeptanz zu tun. Und mit der Konzentration auf das, was man selbst ändern kann. Die Worte „Lösungskompetenz“ und „Empathie“ fallen dabei häufig, „Zusammenhalt“, „Verantwortung“ und „Planung der eigenen Zukunft“. Die Botschaft lautet stets: Du steckst in einer Krise? Lass nicht zu, dass dir alles einfach geschieht, nimm es in die Hand!
Das Netz macht nun diese Hinweise etwas schwieriger. Resilienz im klassischen Sinne basiert auch immer auf einer Möglichkeit zur Kontrolle: Wenn du weißt, wie du mit etwas umgehen musst, dann kannst du die Situation selbst gestalten und das Beste aus ihr machen. Während wir im Internet zwar eine Art der Vernetzung und Kommunikation vorfinden, die einen ungeheuren emanzipatorischen Wert hat, da der alte Dualismus Sender-Empfänger teilweise aufgehoben ist; während Nischenthemen dort nicht mehr an den sogenannten Gatekeepern der traditionellen Medien vorbeikommen müssen, sondern auch ohne diese ihre Zuhörerschaft finden; während das Netz also ein großer Erscheinungsraum ist, der es vielen Menschen ermöglicht, miteinander zu sprechen und zu handeln, die vorher vermutlich nie zueinander gefunden hätten, führt es auch die künftigen Opfer und Täter von Hass und Mobbing zueinander. Spätestens seit Pegida und Co. wissen wir, dass auch ein brauner Mob diese Möglichkeiten nutzt. Mit der Aufgabe der Trennung zwischen Sendern und Empfängern haben wir auch einen guten Teil der Kontrolle abgegeben. Viele Sender sind in unsere Welt eingetreten, die wir vorher nicht empfangen hätten.
Anne Wizorek, die als #aufschrei-Aktivistin bekannt wurde, hielt vor einem Jahr auf der re:publica einen Vortrag über Hate Speech, digitale Hassreden. Sie listete die Folgen für die Betroffenen auf: Schlafstörungen, Angst, Scham, Selbstzensur. Das Frappierende an ihrer 30-Minuten-Rede war, dass sie nach einer Aneinanderreihung von schlimmen Geschichten und Beispielen mit den Worten endete: „Ich möchte ein Netz, das mir die Antwort auf die Frage ,Wie gehst du mit Hasskommentaren um?‘ direkt liefert — weil es diese nicht gibt.“
Kiste aus, schlafen gehen
So leid es mir tut – meine eigene Erfahrung ist, auch wenn das unschön klingt: Der Hass geht niemals weg. „Haters gonna hate“, sagt der Netzvolksmund — wer hassen will, wird hassen. Und nicht nur das: Ich fürchte, wir drehen uns alle schon viel zu sehr um den Hass. Das aber lehnt das Konzept der digitalen Resilienz ab. Stattdessen will es, dass wir unsere Handlungsmöglichkeiten realistisch einschätzen und unseren jeweiligen Weg gehen. Welcher sollte das aber sein und wie soll das gelingen?
Man kann sicher sagen, dass Loriot und Rotwein schon mal ein guter Anfang sind. Das bedeutet nämlich, dass man den Computer ausgeschaltet hat, dass man erst einmal zur Ruhe kommen, entspannen und eine Nacht über alles schlafen kann, wenn es wieder einmal Hass geregnet hat. Setzt man sich dann wieder an den Rechner, sollte man prüfen, in welche Kategorie das, was sich in den Kommentaren, Spalten oder im Mailfach angesammelt hat, fällt: Ist es überhaupt der Rede wert? Ist es nur Gemotze? Kritik? Oder Mobbing oder gar Stalking? Ist es beleidigend? Kommt es von vielen – oder von einer einzelnen Person?
Zwei Kriterien machen eine vermeintliche Kritik schnell als Gemotze erkennbar: Erstens, jemand kotzt seine eigene üble Gesamtsituation aus, was aber mit dem ursprünglich Gesagten so gut wie nichts zu tun hat. Zweitens, jemand startet eine persönliche Attacke, etwa „Sie haben wohl in der Schule nicht aufgepasst“, anstatt sachliche Argumente zu liefern. Beide Hater-Strategien sind zigfach im Netz dokumentiert, und es gibt nur eine richtige Art, damit umzugehen: löschen, blockieren, muten (ausblenden), und wenn all diese Funktionen nicht zur Verfügung stehen – ignorieren.
Echte Kritik hingegen ist sachlich und greift die von einem selbst zuvor gebrachten Argumente auf. Sollte die Kritik dennoch verletzend wirken, lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob man selbst irgendwo falsch liegt. Dabei kann eine zweite oder dritte Meinung weiterhelfen. Das kann die Einschätzung einer guten Freundin sein, eines Anwalts, eventuell auch der Polizei, wenn Dinge geäußert wurden, die strafrechtlich relevant sein könnten. Indem man sich eine Meinung von außen einholt, hat man schon einen weiteren wichtigen Schritt getan: Man hat mit Menschen geredet – und das ist sehr wichtig, denn gerade, wenn es viele auf einmal sind, die einen im Netz als Ziel auserkoren haben, ist es sinnvoll, nicht allein auf weiter Flur zu stehen. Der Gang zur Polizei wird allerdings selten eintreten, da viele Online-Ätzer sehr geübt darin sind, die Grenzen gerade noch so zu wahren, sich nicht strafrechtlich relevant zu verhalten. Den Effekt auf unsere Nerven und Psyche schmälert das aber keineswegs. Eine gute Freundin sagte zu solchen Fällen einmal: „Nicht mal ignorieren!“ Respekt ist die Basis – sonst nix Dialog! Klar?
Wenn die Situation sehr belastend ist, bleibt der Computer oder zumindest die betreffende Plattform besser eine Weile aus. Ein Signal, das anzeigt, dass es Zeit fürs temporäre Abschalten ist, könnte sein, dass man in Gedanken sehr stark um ein bestimmtes Wort kreist, um eine bestimmte Formulierung, die man gedanklich von allen Seiten wendet und beleuchtet, während man sich ärgert und denkt: „Mit mir nicht! Jetzt erst recht! Na warte!“ Dem Angreifer in solchen Situationen irgendetwas zu antworten, wird so gut wie nie weiterhelfen. Im Gegenteil: Schon oft haben vernünftige Leute sich in dieser Phase selbst von Wutreflexen leiten lassen, obwohl sie sich eigentlich erst einmal Zeit zur Ruhe und Reflexion hätten gönnen sollen.
Grübeln ist wichtig
Viele Freunde und meine Therapeutin raten mir immer wieder, ich solle nicht so viel grübeln. Aber das ist falsch! Man muss sich die Zeit nehmen, das Geschehene zu sortieren, den Hassangriff für sich einzuordnen, die eigene Rolle dabei zu reflektieren. Denn das führt in den vielleicht wichtigsten Teil der digitalen Resilienz: die eigenen Ziele zu definieren. Was will ich überhaupt im Netz? Warum bin ich gerade dort online? Will ich dort bleiben? Manchmal ist es wirklich sinnvoll, eine Situation, die psychischen Stress verursacht, strikt zu beenden, sie zu verlassen. Das kann eine gezielte Entscheidung sein, nachdem man Nutzen und Kosten abgewogen hat. Stellt man aber fest, dass man auch einen Nutzen aus dem Austausch auf dieser oder jener Plattform zieht, muss man sich und sein Verhalten fokussieren: auf den Nutzen natürlich, nicht auf den Schaden.
Resilienz bedeutet immer auch, zu erkennen: Ich kann die anderen im Zweifel nicht ändern – aber mich und meine Haltung. Viele hören das nicht gerne, aber dazu gehört auch der Abschied von der Opferrolle. In ihrem Buch Resilienz - Das Geheimnis innerer Stärke schreibt die auf Psychosomatik spezialisierte Medizinerin Mirriam Prieß: „Die Täter-Opfer-Konstellation ist deswegen so dramatisch, weil das Opfer sich im Kampf gegen den vermeintlichen Täter selbst gefangen nimmt, indem es sich durch die Anklage immer mehr an ihn bindet.“ Ins Netz übertragen bedeutet das, egal wie stark der Drang nach Gerechtigkeit oder gar Rache ist: Je mehr wir um die Hater kreisen, desto mehr binden wir uns an sie, und desto weniger Zeit und Energie bleiben für unsere eigentlichen Ziele. Die Hassmützen bereiten uns dann also eine richtig miese Zeit – und sie halten uns auch noch davon ab, das Netz als Segen zu nutzen und uns mit denen zu verbinden, die unsere Aufmerksamkeit verdient haben.
Info
Die zehnte Netzkonferenz re:publica läuft vom 2. bis zum 4. Mai in Berlin
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