Sexyness oder Sexismus

Kolumne Unsere Kolumnistin macht sich Gedanken über den schmalen Grat zwischen Sexyness und Sexismus, den Frauen für ihre Freiheit zu beschreiten haben

Sind Frauen heute wirklich im Großen und Ganzen lieber schön, als klug? Schließt sich das überhaupt gegenseitig aus? Dürfen wir Frauen auch einfach gerne einmal Sexobjekt sein, freiwillig und selbstbestimmt? Muss ich diese Fragen wirklich immer noch stellen?

Ständige Selbstkontrolle

Nicht nur ich stelle diese Fragen: Ich kenne viele Frauen zwischen 20 und 45, kluge, schöne, starke Frauen, sie alle kennen das Dilemma. Fast alle schlagen sich mit einer ambivalenten Auseinandersetzung mit Sexyness herum. Kaum eine von ihnen verzichtet bewusst auf sie. Im Gegenteil: nahezu jede Frau, die ich kenne, spielt gerne damit. Ob bewusst oder unbewusst. Wir Frauen haben manchmal den Eindruck, dass strategisch eingesetzte Sexyness Türen öffnet. Genauso wie sie Türen schließt. „Wie sexy darf ich mich kleiden, wenn ich Kleidergröße 44 trage?“ oder: „Wird mein Chef mich weniger oder mehr ernst nehmen, wenn ich einen figurbetonten Blazer zur Gehaltsverhandlung trage?“ Die meisten von uns sind daher dazu übergegangen, in einem ständigen Kontrollwahn die eigene Sexyness herunterzuspielen. Nicht zu viel. Nicht zu wenig.

Aus einer feministischen Perspektive ist die Sache scheinbar einfach: So lange Frauen ihr Ding machen, selbstbestimmt und offen, so lange ist auch Sexyness in Ordnung. So ähnlich formulierte es auch die britische Feministin Natasha Walter, als sie in den 90ern ihr Buch „The New Feminism“ publizierte. Seither galt auch für Feministinnen: Sexyness ist voll ok – ach: eigentlich sogar toll! Eine selbstbewusste Frau kann sexy sein. Freiheit ist das einzige, was zählt. Über zehn Jahre danach kommt dieselbe Natasha Walter mit einem fetten „Aber…“, das sie in ihrem Buch „Living Dolls“ publiziert. Sie habe gedacht, der Sexismus in der Gesellschaft würde dahinschwinden und Frauen seien frei, so zu leben, wie sie wollten – sexy oder nicht. „Ich lag völlig daneben,“ sagt die Feministin heute. Sexismus und Sexyness sind in ihren Augen eine schwer auf den Schultern der Frauen liegende Allianz eingegangen: als Sexyness-Gebot.

Für Freiheit ohne Sexismus

Die Ambivalenz der meisten Frauen, die sich gerne als emanzipiert, aber zugleich auch lustvoll und sexpositiv sehen wollen, rührt von eben diesem schmalen Grat, der zwischen Sexismus und Sexyness liegt: wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, uns mehr zu verhüllen, uns nicht wie „Schlampen“ zu kleiden – wie dies der weltweit Slutwalks auslösende Polizist aus Kanada ausdrückte, nur damit wir auf der sicheren Seite sind. Wir wollen aber ebenso wenig auf unsere Körper reduziert werden, um auf einer anderen sicheren Seite zu sein. Wir wollen Freiheit ohne Sexismus.

Die meisten Männer, die ich kenne, sehen darin kein Problem und gestehen uns genau das ohne wenn und aber zu. Der Schlüssel dazu ist einfach: Respekt. Doch wie viel Respekt hat eine Gesellschaft für Frauen übrig, in der nahezu sämtliche Männermagazine Frauen als Deko, als Freiwild und als bestenfalls „willig“ benutzen? Wie viel Respekt billigt eine Gesellschaft Frauen zu, in der Fußball-Nationalspielerinnen von ihrer Tätigkeit nicht leben können, weil sie eine männliche ist? Und ist es letztendlich nicht überall so, dass der Respekt für Frauen immer genau dann schwindet, wenn sie in “männliche Bastionen“ eindringen wollen? Die beste Anwältin in der Kanzlei eines Freundes wurde nur aufgrund ihres schwangeren Bauches mit gerade der notwendigsten Gehaltserhöhung abgespiesen. Mit Männern traute man sich so etwas nicht.

Respekt – aber wie?

Sexyness und Respekt wieder zusammen zu bringen (waren sie es im Gros eigentlich je? Sind daran nicht schon die lieben 68er gescheitert?) – das vielleicht tiefste Anliegen der Slutwalks? Oder sollte man tiefer gehen, so wie Sonja Eismann es einst Ausdrückte, und die gesellschaftliche Norm der Sexyness einmal grundlegender hinterfragen? Was bringt uns Sexyness denn? Eismann sagt: „Es vermittelt Sicherheit, zu entsprechen, zu genügen.“ Sicherheit. Schon wieder.

Weil uns, also mich, das alles tendenziell ratlos macht, ein Versuch, Respekt in die Sexyness zu bringen: Indem man diese umdefiniert. Statt medial und öffentlich verhandelter Schönheitsnormen müssen individuelle und personenbezogene Ideale her. Jede Frau (und jeder Mann!) ist potentiell schön. „Es kommt auf die inneren Werte an!“ – werden Sie witzelnd einwerfen, um die banale Erkenntnis zu entwerten, die als einzige der Schlüssel sein kann. Wie viele Frauen kenne ich, die schön, stark und selbstbestimmt sind – in meinen Augen – und sich selbst seit Jahrzehnten bekriegen (mit Hungern, Essen, ständiger Arbeit am Körper, oder: indem sie ebendiesen verstecken, aus Angst). Es sind zu viele.

Ich will, dass das aufhört! Und das wird es nur, wenn wir zusammen eintreten: gegen den überall unterschwellig auftretenden Sexismus (in den Medien, aber auch in der Politik); gegen machistische Männer, die oftmals viel zu viel Macht haben und viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen; genauso wie gegen knallharte Frauen, die uns mit ihren strengen Blicken oftmals die allerschlimmsten Feinde sind. Gegen die Respektlosigkeit, die sich an unsere Hüften hängt. Im Grunde wollen wir alle, dass das aufhört. Wir haben nur noch nicht begriffen, dass wir dafür mehr tun müssen, als auf Slutwalks zu gehen und Schönwetterreden zu schwingen. Erst wenn wir es schaffen, Schönheit und Sexyness in unseren eigenen gebrainwashten Köpfen wieder umzudefinieren wird der Sexismus wirklich angreifbar. Erst dann wird Respekt möglich. Für andere. Vor allem aber auch für uns selbst.

Katrin Rönicke schreibt in ihrer zweiwöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Diese erscheint immer montags im Wechsel mit Verena Reygers Musikkolumne.

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