Das mag komisch klingen, was da als die Intention des neuen Buches "Frauenkörper neu gesehen" geschildert wird: "den Schatz sexuell bestärkender, bewusstseinserweiternder Erfahrungen zu orten – und zu bergen." Worum geht es da?
In einem Satz zusammengefasst geht es der Herausgeberin Laura Méritt, die den frauenbewegten Klassiker der 70er neu gestaltet hat, um Aufklärung. Das Werk ist ein Selbsthilfebuch zur Erkundung der eigenen Weiblichkeit, realistische Zeichnungen von Beatriz Higòn untermalen die verschiedenen Themen. Es ist in einer feministischen Sprache geschrieben und es enthält neue Bezeichnungen für Teile des weiblichen Körpers, die bislang mit einer Sprache und damit auch Symbolik leben müssen, die manchmal erniedrigend oder entmündigend ist.
ABC der Vielfalt
Das Jungfernhäutchen heißt hier "Vaginalkrone", der G-Punkt "Genussfläche". Zudem schreiben die Autor_innen mit dem Gender Gap, einem Unterstrich zwischen Männlicher Form und dem weiblichen "innen", der ausdrückt, dass es neben den zwei Geschlechtern noch vieles anderes gibt. Ansonsten aber wurde sich (meistens auch recht pragmatisch) einer einfachen Sprache bedient, einer liebevollen und einer, die nicht krawallig, sondern einfühlsam ist. Frau kann sich sorgenlos fallenlassen.
Angefangen wird mit einem "ABC der sexuellen Orientierungen", dem eine schnelle und verständliche Unterscheidung zwischen Sex und Gender vorangestellt ist. Es ist positiv hervorzuheben, dass neben bi-, cis-, homo-, pansexuell und queer auch über Asexualität gesprochen wird.
Weiter geht es mit der guten alten feministischen Tradition der Selbstuntersuchung. In den 70ern stellten die bewegten Frauen irgendwann fest, dass sie es satt haben, dass ihr Gynäkologe zwar regelmäßig in das Innere ihrer Vagina blickte und so auch wusste, dass es dort von Frau zu Frau extreme Unterschiede geben konnte – sie selbst aber keinen blassen Schimmer darüber hatten, wie es aussah und ob sie eigentlich "normal" waren. Denn eine Frau hat schnell den Eindruck, dass es bei ihr untenrum vielleicht etwas "seltsam" aussieht, sich komisch anfühlt oder auch einfach eine starke Scheu, sich dort zu berühren.
Dieser Eindruck und diese Scheu können (und wurden damals von sehr vielen Frauen) abgebaut werden: In einer Art vergleichenden Selbsterkundung. Damals waren das die Spekulum-Sessions, Treffen, bei denen Frauen sich gegenseitig mit dem Instrument, das einen Blick in die Vagina gewährt, ansehen konnten. Hier wurden die Vielseitigkeit und die Anatomie der Frauen "untenrum" erkundet. Und dadurch auch besser verstanden. Wie das genau geht? Auch das kann in "Frauenkörper neu gesehen" nachgelesen werden. In Zeiten des Internets ist es dann auch möglich, dass Aussehen des Gebärmuttermundes aufzuzeichnen und mit anderen zu teilen.
Die meisten jungen Frauen, die ich kenne, werden das eklig oder abartig finden. Leider. Genau hier liegt ein sehr großes Problem. Frauen wissen auch im Jahr 2012 noch nicht viel mehr über ihr Untenrum-Innenleben, als vor vierzig Jahren. Dass ein Frauenarzt bei der Vaginaluntersuchung mit Kamera auch der Frau einen Blick auf den Bildschirm werfen lässt und ihr zeigt, wie das dort aussieht, dürfte noch nicht zum Standard gehören (Danke an die Praxis Dr. Pett in der Adalbertstr. Berlin Kreuzberg!).
Was ist normal?
Stattdessen werden Frauen mit getrimmten inneren Labien (im Buch heißen sie "Venuslippen" bzw. einfach nur "Lippen" – das furchtbare Wort "Scham" hat man ihnen entfernt) in der Pornografie konfrontiert. Selbst in der Wikipedia haben Bilder Einzug gehalten, in denen solche Lippen zu sehen sind. Dass sie bis zu 11 cm lang werden können empfinden die meisten Frauen vermutlich als puren Horror. Was "rausguckt" wird als unschön empfunden – das Schönheitsideal für "Untenrum" gebietet innere Lippen, die sich in den äußeren Venuslippen verborgen halten. Genital-Schönheits-OPs sind entsprechend im Aufwind.
Die meisten Frauen, die sich nach einer plastischen Umgestaltung ihres Intimbereichs sehnen und diese dann auch durchführen, geben als Hauptsehnsucht an, "normal" sein zu wollen. Und das ist absurd. Dass die inneren Lippen herausspicken ist häufiger, als dass sie drinnen sind. Eine Tatsache, die man im ungezwungenen Vergleich zwischen Frau und Frau einfach feststellen – und damit sehr viele Ängste beseitigen kann. Könnte.
In Zeiten, in denen die Medien vom Stichwort "Generation Porno" nur so wimmeln, kommt einem Selbsterkundungsbuch wie diesem gewiss auch noch eine weitere sehr wichtige Bedeutung zu: In der Flut der Bilder, in denen es (zumindest was den kostenlosen Content im Netz angeht) zu 90 Prozent bloß darum geht, wie ER möglichst viel von der Sache hat und seine Dominanz ausdrücken kann, fehlen oft die Ideen und Anleitungen für eine Suche nach dem eigenen, dem weiblichen Vergnügen. Junge Männer wissen oft gar nichts über die Art und Weise, eine Frau zu beglücken, wie auch Cindy Gallop in ihrem legendären Vortrag auf der re:publica 2012 beschrieb. "Make Love not Porn" und auch das hierzulande erschienene Aufklärungsbuch "Make Love" von Ann-Marlene Henning setzen diesen Bildern reales Wissen entgegen.
Sie sind für Jungen und Mädchen, für Frauen und Männer gleichermaßen gedacht. Doch sie sind weder in einem Ansinnen geschrieben, beziehungsweise aufgezogen, dass eine queere Perspektive jenseits von Mann und Frau als "Normpaar" mitdenkt. Noch gehen sie derart in die Tiefe (im wahrsten Sinne des Wortes!) und sprechen mit Frauen so Unverblümt über Klitoris, das Harnröhrenschwellgewebe und obschöne Worte, wie es "Frauenkörper neu gesehen" tut.
Aufklärung ganz konkret
Ein drittes und absolut wichtiges Plus an diesem Buch ist seine detaillierte medizinische Hilfestellung. So wird ein Index von sexuell übertragbaren Krankheiten angeboten, es gibt eine sehr ausführliche, ehrliche und dennoch niedrigschwellige Einführung in die Möglichkeiten der Verhütung und auch über Schwangerschaftsabbrüche wird nicht geschwiegen, sondern einfühlsam und hilfestellend gesprochen.
Ich bin ganz froh über dieses Buch. Zum einen konnte ich selbst noch einiges lernen – auch wenn ich nicht gleich ein Spekulum kaufte. Zum anderen ist es ein Buch, das ich neben "Sex – so machen's die Frauen" und "Make Love" für meine Tochter bereit halte.
Das Buch erscheint im Dezember 2012 im Orlanda Verlag. Das Missy Magazine lädt ein zu einer Präsentation des Buches.
Katrin Rönicke schreibt in dieser Kolumne alle 14 Tage mittwochs über Gender- und Bildungsthemen, zuletzt über die Frauenquote.
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