Was ist Bildung?

Schule Die politische Debatte um unser Schulsystem beruht auf einem fatalen Missverständnis: Sie setzt Bildung mit Berufsqualifizierung gleich. Das Ziel muss aber Freiheit sein

Das aktuelle Freitag-Wochenthema befasst sich mit dem Schulsystem, stellt seine Mängel fest und wagt einen Blick in die Zukunft. Wenn wir über unsere Kinder und ihre Entwicklung reden, dann sollten wir uns fragen, was eigentlich das Ziel sein soll. Wir legen die Erziehung und „Bildung“ unserer Kinder in die Hände des Staates ohne zu hinterfragen, was dieser eigentlich unter „Bildung“ versteht oder was das Lehrpersonal darüber denkt.

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Über den Bildungsbegriff hat sich schon Wilhelm von Humboldt vor 200 Jahren den Kopf zerbrochen. Humboldt war in seinem Bildungsideal geradezu staatsskeptisch, als er schrieb: „Je mehr also der Staat mitwirkt, desto ähnlicher ist nicht bloß alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte. (…) Wer aber für andere so räsoniert, den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, dass er die Menschen misskennt und aus Menschen Maschinen machen will.“

Dieses Zitat sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Denn in der Tat finden wir in der heutigen medialen Debatte, in den Plenardebatten des Bundestags, in den „Bildungs“-Wunschlisten der Wirtschaft und der Unternehmen, bis hin zu Eltern und Lehrpersonal ein Denken, das Bildung und Qualifizierung in einem erschütterndem Maße verwechselt. Zentral für Humboldt’s Bildungsideal, an das ich das meine anlehnen möchte, ist aber: Freiheit. Eine Entfaltung des Menschen in einer freien Wechselwirkung mit seiner Welt.

Diese Freiheit fehlt dem deutschen Bildungssystem, namentlich den Schulen und ihrer am Frontalunterricht orientierten Didaktik. Stattdessen findet sich in den meisten Köpfen eine wirtschaftsorientierte Doktrin der Verwertbarkeit der vermeintlich „gebildeten“ Menschen. Qualifizierung für eine spätere Berufs- oder Erwerbstätigkeit, das Erstarken der deutschen Wirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit der Nation im internationalen Vergleich – das alles sind, kurz zusammengefasst, die wichtigsten Triebfedern der heutigen Bildungspolitik und des Schulsystems.

Gebildet sein im Humboldt‘schen Sinne aber ist in erster Linie: Menschsein. Weisheit und Tugend – vor allem aber auch: Kritikfähigkeit. All das sind Ergebnisse eines Bildungsideals, das über bloße funktionale Qualifizierung hinaus ginge. Gerade wirtschaftliche Zwänge waren seit jeher dessen ärgste Feinde, denn sie suggerierten: Man könne dieses Ideal nur einer aristokratisch-privilegierten Elite zukommen lassen, alles andere sei nicht realistisch. Heute stellt sich die Situation anders dar: Die Bildungspolitik Deutschlands verspricht Bildung und Chancengleichheit für alle. Dies ist aber keine Bildung, sondern verwertbarkeitsorientierte Maschinisierung eines großen Teils der Heranwachsenden.

Zweitens handelt es sich bei dieser Art von Chancengleichheit um eine Lüge: Denn die wirtschaftlichen Zwänge wiegen bis heute mehr in diesem Land als eine Breiten-orientierte Bildung für alle, die diesen Namen verdient. Das hat nicht zuletzt die Exzellenz-Initiative des Bundes unterstrichen, die Gelder vor allem in die Elite stecken will. Deswegen ist vielleicht Jürgen Baumert gerade der „neue“ Wilhelm von Humboldt dieses Landes, denn er ist momentan einer der wenigen, der ein Bildungsminimum in den Fokus nimmt und als Bringschuld der Schule für alle, unabhängig von Herkunft und Zukunft, definiert. Zugleich rüttelt er an der Geldschluckschule Gymnasium am kräftigsten.

Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines zweijährigen Jungen. Seit April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag schreibt sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Außerdem schreibt sie für den feministischen Blog maedchenmannschaft.net

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