Wenn Mädchen kreischen, sind sie Mädchen

Fankultur Teenie-Starlett „Hannah Montana“ bringt Mädchen zum kreischen. Warum führen sich Mädchen seit den Beatles eigentlich auf wie Idioten?

Es war einmal ein junges Mädchen, das auf dem Konzert einer 90er-Jahre-Boyband alle Kräfte mobilisierte: Erst stundenlanges Warten in der Schlange, um einen Stehplatz möglichst weit vorne zu ergattern, dann Gerenne, Geboxe und Gedrängel absolvieren, um wirklich auch ganz vorne stehen zu können, um in einen kreischenden Chor einzustimmen, als die 90er-Jahre-Boyband die Bühne betritt. Leider: Sich nur wenige Minuten später mit zu niedrigem Blutdruck im Krankenzelt wiederfindend. Bis heute kann ich nicht verstehen, was mich dazu getrieben hat, mein Zimmer mit 64 Plakaten dieser Band zu schmücken und mache mich nun zum ersten Mal auf eine aufklärende Suche der eigenen Geschichte: Warum kreischen Mädchen?

Bevor ich zum Kreischmädchen wurde, hörte ich Britpop-Bands wie Blur und ein paar Rock-Legenden wie die Stones. Zum Boyband-Fan wurde ich, so weit ich das erinnern kann, infolge einer Infizierung meiner vermeintlichen beiden besten Freundinnen mit dem Take-That-Virus. Da besagte Mädchen einen heiligen Gral aus ihrer Fanschaft machten und sich für recht exklusiv hielten, musste für mich eine andere Band her – und so wurde ich auch ein Fan. Aber richtig „logisch“ klingt das leider noch nicht. Was sagt die Wissenschaft dazu?

In Birgit von Bütows „Mädchen in Cliquen“ wird die Fankultur von Boygroups als typischer Bestandteil einer Inszenierung von kollektiver Identität interpretiert. Einfacher gesagt: Das Fansein schweißt eine Gruppe Mädchen auf verschiedene Wege zusammen:

1. Wird aus dem Fansein oft ein Geheimnis gemacht. Vor der Klasse als Fan einer Boygroup geoutet zu werden (oder ganz klassisch zu meiner Zeit: Als Fan der Kelly Family) galt als Risiko. Denn es war dennoch irgendwie peinlich. Das gesamte Verhalten auf Konzerten, wie ich selbst es oben beschrieben habe, ist gesellschaftlich eher abgewertet und wird bestenfalls belächelt. Das schweißt zusammen: Es ist fast ein wenig wie etwas Verbotenes tun. Tatsächlich schäme ich mich bis heute ein bisschen für dieses halbe Jahr zwischen Blur und No Doubt.

2. Finden in der Gruppe Rituale statt: Zusammen schwärmen (wie wäre das, wenn man sich tatsächlich einmal träfe…), zusammen die Lieder hören, mitgrölen, umdichten, kichern, lachen. Einander damit aufziehen, wen man am besten findet. Und zusammen ‚in die große Welt‘ fahren, um auf Konzerten in einer Kirchentag-ähnlichen Atmosphäre das große Zusammengehörigkeitsgefühl zu zelebrieren. All diese Rituale schweißen die Gruppe zusammen und definieren sie als etwas Besonderes im Unterschied zu den anderen.

3. Im Zusammenhang mit der Identitätsfindung von Jugendlichen in der Pubertät, das beschreiben viele Studien von Fend bis Faulstich-Wieland, kommt es auch darauf an, das eigene Geschlecht zu zelebrieren. „Doing Gender“ nennt die Genderforschung dieses Verhalten und es wird auch und gerade von pubertierenden Jugendlichen in Schule und in den Peer-Groups nahezu exzessiv zelebriert. Dabei geht es vor allem um Inklusion und Exklusion in Gruppen: Jungen neigen zum Beispiel dazu, „mädchenhaftes“ Verhalten als Anlass für den Ausschluss aus der Gruppe zu nehmen. Mädchen hingegen inszenieren ihre Haare, nennen sich gegenseitig „süß“ und geben sich „mädchenhaften“ Schwärmereien hin – denn dieses eindeutig weiblich konnotierte Verhalten schweißt sie zusammen. Schwärmen, Träumen, Kreischen – aus der Analyseperspekte der Genderforschung nichts anderes, als „Doing Gender“ in der Pubertät junger Mädchen.

In allen drei Erklärungsansätzen geht es um eines: Zusammenhalt und Inklusion in einer Gruppe erreichen. Durch Rituale, durch ein gemeinsames Geheimnis und durch gemeinsames Zelebrieren des eigenen Geschlechts. Dass dafür nicht einmal unbedingt „süße“ Jungs als Traumobjekt herhalten müssen zeigt aktuell das Gekreische rund um Teenie-Starlett „Hannah Montana“, denn auch bei ihr kippen vor allem die Mädchen reihenweise um.

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Geschrieben von

Katrin Rönicke

ich bin... einfach so; ich bin nicht... so einfach

Katrin Rönicke

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