Wird man als Frau geboren?

Gender Beeinflussen Gene und Hormone die Gehirnentwicklung – oder eben doch die Umwelt? Feminismus, Neurobiologie und Soziologie liefern unterschiedliche Sichtweisen

Es ist ein ewiger Streit und gerade uns FeministInnen wird gerne unterstellt, wir seien in diesem Streit der Gegenpart zu den BiologInnen. Das ist aber wirklich Quatsch, denn sowohl unter den FeministInnen (siehe Differenz-Feminismus) als auch unter den BiologInnen gibt es darüber bis heute große Differenzen. Nein, es ist in der Tat nicht so, dass alle SoziologInnen glaubten, es käme nur auf die Umweltfaktoren an – ein Blick in die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Soziologie zeigt, es herrscht weiterhin Unklarheit. Und genauso wenig sind es alle BiologInnen, die an die Übermacht von Genen und Hormonen glaubten. Das als Klarstellung vorneweg – auch wenn es manchen vielleicht überflüssig vorkommen mag.

Der Streit über Anlage und Umwelt konnte bislang nicht geklärt werden und wird es in absehbarer Zeit auch nicht – das ist die einzige wahre Aussage, die man dazu treffen kann. Würde mein Gehirn einer Gruppe hochqualifizierter Neurobiologen in die Finger fallen, ohne dass sie sonst Anhaltspunkte dazu hätten – sie könnten nicht bestimmen, ob es männlich oder weiblich ist. Durchblutung, Stoffwechsel und alle Strukturen sind zunächst so identisch – und innerhalb der Geschlechtergruppen wiederum so verschieden – dass die Frage nach meinem Geschlecht nicht anhand meines Gehirns beantwortet werden könnte. Das überrascht, denn seit Jahren geht eine Gruppe NeurobiologInnen und PsychologInnen – wie Susan Pinker und Louann Brizendine – damit hausieren, dass die Unterschiede der Geschlechter bereits in ihren neurologischen Anlagen und den unterschiedlichen Hormonhaushalten mehr als klar begründet seien.

Fiese Hormone

Brizendine und Pinker legen ihren Fokus auf die Hormone: Die fiesen, kleinen Dinger, die durch unseren Körper strömen und verhindern, dass Männer in einem sozialem Beruf glücklich werden können und Frauen in den Chefetagen der DAX-Unternehmen. Sie legen die Tatsache, dass die Hormone bereits in der Schwangerschaft ausgeschüttet werden, also wenn die kleinen Menschen noch nicht einmal das Licht dieser Welt erblickt haben, als Beweismittel für die Unterschiede im späteren Sozialverhalten auf den Tisch, denn diese Hormonausschüttungen sorgten dafür, dass Jungen und Mädchen schon mit unterschiedlichen Gehirnen auf die Welt kommen. So weit, so richtig, zumindest nach dem aktuellen Wissensstand in der Neurobiologie.

ForscherInnen weltweit haben festgestellt, dass tatsächlich schon pränatal durch eine große Hormonaktivität unterschiedliche Gehirn-Strukturen angelegt würden, doch Brizendine und Co. lassen gerne Teil zwei der aktuellen Erkenntnisse weg: Auch wenn die Gehirne bei der Geburt unterschiedlich seien, so ist die weitere Entwicklung des Gehirns nach der Geburt mehr von den Einflüssen der Umwelt abhängig als von den Genen und Hormonen. Ein Vertreter dieser Sichtweise des Gehirns ist der Neurobiologe Gerald Hüther. In Ausgabe 2/2008 der Zeitschrift TPS erläuterte er, welche Auswirkungen die Unterschiede zwischen Jungen- und Mädchengehirnen bei der Geburt hätten und: welche nicht.
„Weder die genetischen Programme, noch die sich entwickelnden Gehirne von Männern und Frauen „wissen“, wie ein männliches bzw. weibliches Gehirn herauszubilden ist. In viel stärkerem Maß als bisher angenommen strukturiert sich das Gehirn von Männern und Frauen anhand der sich für beide Geschlechter ergebenden unterschiedlichen ‚Nutzungsbedingungen’“.

Jungs sind sensibler

Dennoch: Männliche Gehirne seien von Anfang weniger stabil und konstitutionell schwächer als die der Mädchen, sagt Hüther. Jungen kämen daher im Durchschnitt etwas empfindlicher zur Welt als Mädchen. Zudem hätten sie größere Schwierigkeiten bei der Aneignung neuronal komplexer Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster. Doch im Gegensatz zu Brizendine oder Pinker leitet Hüther hieraus nicht die Notwendigkeit einer größeren Neanderthaleritis bei Männern her, sondern vielmehr, dass Jungen in den ersten Lebensjahren im Vergleich zu Mädchen mehr Zuwendung, mehr Halt, Stabilität und Liebe bräuchten, um dieses kleine "Defizit" auszugleichen. Dass die Erwartungshaltungen von Eltern an das angeblich "starke" Geschlecht oft das Gegenteil sind, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Vor einigen Jahren entdeckten die Forscher, die dank MRT und Co. in unsere Gehirne gucken können, dass ein ganz bestimmter Bereich plötzlich überdurchschnittlich groß erscheint, der früher kaum in Erscheinung getreten war: Der Bereich im Gehirn, der für den rechten Daumen zuständig ist. Nun, SMS-Schreiben ist eben ein evolutionär noch relativ neuer Zustand, aber das Gehirn hat sich natürlich sofort angepasst. Die Jugendlichen von heute haben ein sehr großes Rechter-Daumen-Areal in ihrem Hirn, größer als meins und noch viel größer, als das von meiner Omi!

Die Größe bestimmter Gehirn-Areale ist auch das Thema von Brizendine und Pinker. Sie wollen beweisen, dass Männer und Frauen von Natur aus – was in der Sprache der Wissenschaft soviel heißt wie: genetisch bedingt – ganz verschieden sind und ziehen Studien heran, die zeigen sollen, dass die Gehirne uns gar nichts anderes zugestehen, als völlig verschieden zu sein. Geht man mit Hüthers Erklärung für Größe mit, dann wird schnell klar, dass Größe vor allem ein Ergebnis von Lernen und Benutzen ist, womit ein lange bekannter Grundsatz der Neurobiologie wieder einmal bestätigt wurde: "Use it, or lose it!" Dass die Verschiedenheit der Geschlechter also genetisch bedingt sein muss, das wurde mitnichten bewiesen, im Gegenteil: Die Vermutung liegt nahe, dass diese erlernt wurde: "Use it, or lose it".

Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines zweijährigen Jungen. Seit April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag schreibt sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Außerdem schreibt sie für den feministischen Blog maedchenmannschaft.net

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