Zieh Dich bloß nicht aus!

Nacktheit als Ware Die FKK-Kultur stirbt aus. Dafür blüht das Geschäft mit der Pornografie. Wie tragisch, dass uns das natürliche Verhältnis zu nackten Körpern abhanden gekommen ist!

Früher bin ich sehr ungezwungen nackt zwischen vielen nackten Menschen herumgetobt: Am FKK-Strand. Heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Nacktheit ist etwas sehr Intimes für mich geworden, ich möchte nicht, dass alle möglichen, mir unbekannten Menschen einen Blick auf meine sekundären Geschlechtsmerkmale werfen können.

In einer Gesellschaft, in der alle Menschen tagtäglich mit nackten Menschen zugespammt werden, ist persönliche Nacktheit ein schwierigeres Objekt geworden. Denn während ich doch ein wenig wehmütig werde, wenn ich an meine ungezwungene FKK-Vergangenheit denke, sammle ich für unser feministisches Weblog sexistische Werbung, um sie zu brandmarken. So nicht, liebe Werbeindustrie! Sage ich dann.

In den USA sei das mit der sexistischen Werbung nicht so verbreitet, schrieb einst ein User in einem Blog-Kommentar. Man würde kaum auf Nacktheit stoßen in der Öffentlichkeit. Wenngleich das zunächst begrüßenswert erscheint, so weiß ich im gleichen Moment ebenso: Das sind die gleichen USA, in denen Menschen andere Menschen anzeigen, deren Kleinkinder im Garten nackt herumtoben. Der Preis für die Freiheit von Sexismus ist leider allzu oft: Die Prüderie.

In Schweden zum Beispiel gab es noch in den Siebzigern eine sehr freizügige Kultur des Nacktseins. Man fand daran weder etwas Sexistisches, noch etwas Anstößiges oder gar Pädophiles. Nein, man war geradezu stolz auf diese Freiheit, die man auch mit einer gewissen Freiheit des Geistes verbunden sah. Heute sind auch die Schweden verklemmt. Eine Frau, die dort oben ohne, oder gar komplett nackt am Strand entlangliefe, wäre wahrscheinlich binnen kürzester Zeit als „Schlampe“ abgestempelt. Damit scheint sich die Gesellschaft in eine ziemlich schwierige Lage manövriert zu haben:

Einerseits ist sie völlig „oversexed“. Sexistischer Werbespam so weit das Auge reicht. Eine besonders große Sorge ist die „sexuelle Verwahrlosung“ der heutigen Jugend. Und Frauen wollen zu recht nicht bloß als Sexobjekte und Dekoration von Autos herhalten. Bei You Porn kann man Sex und im gesamten Internet Bilder von nackten Menschen ohne Grenzen bekommen.

Gleichzeitig stirbt die FKK-Kultur aus, nur ein paar restliche „Oldies“ leben sie noch, beklagen das Ausbleiben der Jungen. Waren früher in einem Bildband von Schweden noch viele nackte Frauen am Strand zu sehen, so sind sie heute komplett verschwunden. Währenddessen operiert eines der größten europäischen Pornofilm-Imperien von Schweden aus. Es gibt kein dazwischen mehr, zwischen Porno und Prüderie. Das ist tragisch.

Denn das perfide an diesen Entwicklungen ist, dass ein nackter Körper sofort und nur noch mit „Porno“ assoziiert wird. Früher war ein nackter Mensch ein nackter Mensch. Nicht mehr. Die Beziehung zu dieser natürlichen, asexualen Nacktheit ist verloren gegangen. Sie bleibt nur noch den Kindern – in den USA nicht einmal ihnen.

Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines einjährigen Jungen. Ab April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag wird sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen schreiben.

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Geschrieben von

Katrin Rönicke

ich bin... einfach so; ich bin nicht... so einfach

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