30 tage ohne oben (14)

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Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 16 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.

Als ich das Radio andrehe, bin ich schlagartig wach: „Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten.“, sagt da jemand im Deutschlandfunk. Der Satz stammt aus Gerhard Vinnais Buch „Fußballsport als Ideologie“, erschienen 1970 (Europäische Verlagsanstalt). Im Vorwort zur Neuauflage 2006 ist vom Fußballkult als Lebensersatz die Rede und einer kulturindustriell angeheizten Begeisterung. Dass man zum Download der digitalisierten Ausgabe einen Fußball anklicken muss, erinnert mich allerdings an die Sonderedition hartgekochter Eier, die im Konsum jetzt mit Fußballmuster zu haben sind. Vielelicht kann kann ich sie bei Gelegenheit werfen, denke ich flüchtig.

Als ich die Wohngebietsgaststätte aufsuche, um im Kreis Vertrauter das Spiel der Deutschen gegen Australien zu ertragen, wird schnell klar, dass es hier um etwas anderes geht. Die Deutschen gegen Australien? So klingt es auf den Straßen. Das 1:0 finde ich schön, das 2:0 verdient. Beim 3:0 schon kommt die Angst auf vor den Schlagzeilen. Beim 4:0 steht fest: Das gibt kein schönes Erwachen. Es ist dann schon kein schönes Einschlafen.

„Ihr habt unsVIERzaubert“ jubelt BILD online nach dem Abfiff. Der SPIEGEL feiert den „Kantersieg über Australien“. Die SÜDDEUTSCHE sieht einen „Tanz der Teutonen“.

Heute Morgen ist BILD schon weiter, die Zeile „Wir tröten alle weg!“ korrespondiert mit Katrin Müller-Hohensteins Halbzeit-Entgleisung, in der die ZDF-Moderatorin befand, es sei „für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass er heute hier trifft."

Wenn dann heute DFB-Präsident Zwanziger in der Pressekonferenz zum Themenkreis „Nach dem 4:0 Sieg“ fabuliert, „da identifiziert sich fast ein ganzes Land mit jungen Spielern, die für dieses Land hier in Südafrika ihr Bestes geben werden“, dann kann es sein, dass der zukünftige Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg davon träumt, einen vergleichbaren Satz auch mal sagen zu dürfen. Was natürlich nicht bedeuten muss, dass es ihm quasi eine innere Mobilmachung wäre.

Hätte das Land noch einen Bundes-Köhler, der sein Amt auf den Tribünen Südafrikas verteidigt, wäre längst durchgesickert, dass unsere Mannschaft in den Stadien auch für politische Interessen kämpft.

Ein Tor, wer Fußball dabei denkt.

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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