30 tage ohne oben (16)

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Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 14 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.

Mit dem Schlagwort „Kulturlüge“ schreckte mich heute eine E-Mail auf. Um sofort ins Detail zu gehen: „Vuvuzelas sind reiner WM-Marketinggag“. Bis dahin hatte ich gedacht, sie seien bei Ausgrabungen am Fuße des Mafadi gefunden worden. Plaste verwest ja nicht so rasch. Aber nein, sie wurde vor neun Jahren erst erfunden. Noch jüngeren Datums ist die Toleranzbekundung Joseph Blatters: „Es ist afrikanische Kultur, wir sind in Südafrika und müssen den Afrikanern soviel Kulturausübung erlauben, wie sie nur wollen.“

Mal abgesehen von der historischen Arroganz, mit der er hier ein Auge zudrückt, steht der FIFA-Präsident sehr unglücklich im Strafraum. Da ich mit dieser ungelösten Kulturfrage im Nacken keinen Schlaf finde, befrage ich einen Südafrika-Experten und erfahre: Die Kuduzela, so ein großes gebogenes Antilopenhorn, sei das traditionelle Instrument. Natürlich aus Kudu, nicht aus Plaste. Es sei traditionell samstags zum Einsatz gekommen, weil die südafrikanischen Fußballfans nicht nur den Ball rollen sehen wollten, sondern auch Frust abblasen.

So gesehen ist diese Kuduzela vergleichbar etwa mit dem deutschen Bierglas, wenngleich das weniger Lärm macht. Stattdessen, wenn's leer ist, der Fan. Doch das ist europäische Kultur, wir sind in Europa und müssen den Europäern soviel Kulturausübung erlauben, wie sie nur wollen.

Dazu gehört gewiss auch die Kultur des Rücktritts. Ex-Bischof Walter Mixa hat es sich in der Pause anders überlegt und will nun doch noch einmal auf die Bühne. Die Prügelvorwürfe und Berichte über finanzielle Unregelmäßigkeiten hatten ihn ins Abseits gedrängt, er hatte beim Papst um Entbindung auch von allen anderen Aufgaben gebeten, und so geschah es.

Er habe, sagt er nun, seine Rücktrittserklärung nicht selbst geschrieben. Hat Gott ihm die Hand geführt? Nein, „der Druck war wie ein Fegefeuer“, klagt er in der WELT. Höchste Geistliche des Bistums seien es gewesen, die den Verdacht des sexuellen Missbrauchs an die Presse lancierten. Da dieser vom Tisch ist, will er doch wieder Bischof sein.

Schon dass er das für möglich hält, lässt tief blicken Noch tiefer senkte sich der Blick auf einen den Rücktritt vom Rücktritt annehmenden Papst. Das würde nicht nur die Würde des Amtes beschädigen. Es wäre eine Morallüge, ob nun traditionell oder nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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