30 tage ohne oben (27)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 3 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.

Man muss schon zuhören können, um gern fernzuschauen. Drei Tage lang haben Autoren, Jury, Moderatoren bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt gelesen, geredet, gelesen, geredet, gelesen … Vor den Bachmannpreis haben die Hüter des Wortes die Performance gesetzt.

Es ist das DSDS der Intellektuellen, das aus dem ORF-Theater heraus für drei Tage die Welt anhält. Denn in den Texten geht es meist weit, oft sehr weit zurück. Beschreibung reiht sich an Beschreibung reiht sich an Beschreibung. Und ich bekenne, die Leistung der Lektoren bisher unterschätzt zu haben.

Dennoch: Das ist ein Luxus, dass 3sat an drei Tagen viele, viele Stunden Sendezeit herschenkt, auch wenn das Gelesene, nun … Es kann nicht schaden, einen starken Kaffee im Becher zu haben. Als der 3sat-Moderator aus Versehen zu den „Klagen der deutschsprachigen Literatur“ begrüßt, hat Freud wohl mehr als eine Hand im Spiel.

Aber: Diesmal hat es sich schon für ein Wort gelohnt: Wuchteldruckerei. Das ist Österreichisch, und Jurorin Karin Fleischanderl hat es so dahin gesagt, als wäre es nichts. Wuchteldruckerei. Man könnte auch Pointenschleuder sagen, doch das wär' nur halb so stark. Wuchteldruckerei.

Nun: Es ist vollbracht, die Preise sind verteilt an drei Ostdeutsche und eine Schweizerin, an den Ältesten und die Jüngsten des Wettbewerbs. Das Verfahren übrigens ist vergleichbar dem der Bundespräsidentenwahl. In enger werdenden Runden mit schmaler werdender Auswahl darf sich jeder Juror neu entscheiden.

Jedenfalls: Die dreieinhalb Bachmann-Tage sind eine Oase im Dauerton des TV-Gelabers. Dort hat nun auch noch Peter Hahne seinen Platz zugewiesen bekommen: immer wieder sonntags, 13 Uhr, talkt der Diplomtheologe total nett mit wahnsinnig interessanten Menschen. Heute mit Margot Käßmann. Ich mag's nicht mehr sehen, hören sowieso nicht. Talk, Talk, Talk. Jeden Tag, jeden Abend, reiht sich Runde an Duell an Quartett. Shows, die sich oft nur im Erregungsgrad von Gefälligkeits-Interviews unterscheiden. Sie fragen, also sind sie wichtig. Sie parieren, also sind sie's wert. Sie reden, also sind sie.

Darum: Die Kinder meiner Urenkel könnten eines Tages ihre Mütter fragen, was eigentlich eher da war: das Fernsehen oder das Wort?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden