30 tage ohne oben (5)

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Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 25 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.

Es gibt Tage, da weiß ich früh schon, wo unten ist. Da bleibe ich im Bett. So wie heute. Da weiß ich, was passieren wird, ich habe alles längst geträumt.

Spät in der Nacht muss es gewesen sein, als ein Moment des Schweigens am Nachbartisch mich aufhorchen ließ. Was verheimlichen die da? Ich stellte auf Fernsicht und sah: Es war die Markkleeberger Delegation, die Große Kreisstadt Große Kreisstadt sein ließ und sich beim Leipziger Stadtfest mal ganz zentral die Kante gab. In ihrer Mitte ein Knopfäugiger, der wirkte noch ein bisschen nüchtern. Gar nicht so der Dicke, der jetzt mit der Hand den Tisch traf und rief: "Horsss, wir machn Disch sum Erb, sum Ehrbimm, sum Ehrenbundesprässsdent unsrrr Stadt!"

Der so Angesprochene lächelte wissend und sprach: "Liebe Markkleebergerinnen und Markkleeberger, Sportsfreunde. Ich begrüße, dass mein Asylantrag bei Euch in einer für mich und meine Frau so revolutionären Zeit zu diesem Stadtfest führen konnte. Ich habe mir nicht nur damals, in den harten Nachkriegsjahren, bei Euch einen Eindruck verschaffen können von der Tatkraft unserer Menschen. Dass wir 1953 dann rübergemacht sind, bedaure ich auf das ..."

In diesem Moment schlug sein Mobiltelefon an, es war die Melodie der "Internationalen". "Nein, Joachim", sprach er in den Apparat, "du hast alles richtig gemacht. Die ersten FDP-Fuzzis kippen schon um." (Der Dicke schaut suchend zur Pil's-Bude) "Achwas, der Zastrow will nicht die Briefmarken teurer machen, mit keinem Freibrief meint er, dass er für Dich stimmen lassen will. - Die Facebookgruppe ,Joachim Gauck als Bundespräsident' hat schon über 3000 Mitglieder - Bestimmt auch Westdeutsche. - Ja, Angela weiß Bescheid. - Ich hab's Dir doch versprochen. Sie tritt zurück, sobald die Stimmen ausgezählt sind. - Natürlich gibt es dann ein neues Grundgesetz. - Eine Runde Riesenrad für alle! - Ach komm, Du musst nur die fünf Jahre durchhalten. Anders wäre sie die Pfeifen nicht auf einen Schlag losgeworden. - Ja, Joachim, die Akten sind hier im Keller. - Nicht die Aktien, die Akten. Du, ich muss jetzt auflegen, Joachim, mit den Linken spreche ich morgen. Sei Du der, der Du bist. Und ruf nochmal die BILD an, ja? - Danach gehen wir baden, Markkleeberg hat so schöne Seen. - Ich freu mich auch. Das wird die schönste Pleite seit dem Aufstellen der Schuldenfalle. Schlaf gut."

Er steckte sein Telefon in die Tasche und ...

In dem Moment klingelte mein Wecker. Aber ich stehe heute nicht auf. Ich weiß ja, was passieren wird.

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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