Aber? Aber!

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Abends halb zehn in Deutschland. Es ist ein Abend wie viele andere. Bis Anna zwei Fragen stellt.

Wir stoßen- ein bisschen sentimental - auf den vielleicht letzten lauen Abend der Saison an, spotten über Horst Lichter und seine Maggi-Werbung. Und als wir gerade Ministerpräsident Althaus zum Rücktritt auffordern, wird Anna laut: Hört mal her, ich will was von Euch wissen.


Geht es Euch heute besser oder schlechter als vor 20 Jahren?


Was für eine Frage, wenn man mit Freunden beim Weine sitzt. Geht es uns nicht gut!
Wir haben, was wir brauchen: Wohnung, Arbeit, Freiheit, Geld. Manches davon sogar im gewünschten Maß. Ja klar, lasst uns trinken. Und, fragt Anna, würdet Ihr das auch vor der Kamera sagen? Es gehe da um ein Theaterprojekt, Büchner/Leipzig/Revolte, Wiederholung der Geschichte undsoweiter ... Auf gar keinen Fall, rufen alle. Denn so ist es ja gar nicht. Es geht uns gut, doch keiner soll glauben, dass es da kein Aber gäbe.
Es ist das erste Aber von vielen an diesem Abend, die sich vervielfachen zwischen den Argumenten. Ein Aber hockt zwischen emotionaler Kompetenz und Verklärung. Ein anderes spreizt sich neben finanzieller Sicherheit. Wir alle spüren, dass die Klischees im Takt der Selbstbehauptung marschieren. Denn entscheidender als die Frage, ob es besser oder schlechter geht, ist die nach dem, was fehlt, was verloren ging, was wir zu bewahren versäumten.
Eine Minderheit hat vor 20 Jahren den Mut gehabt, sich zu wehren gegen Dummheit und Beschränkung, gegen Mittelmaß und Resignation . Eine Mehrheit war zu feige, den gemeinsamen Neuanfang zu wagen, der nicht nur das sozialistische System infrage stellt.
Dass es inzwischen nur noch um die Verteidigung der kleinstmöglichen Zufriedenheit geht, zeigt sich nicht nur in den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen. Es zeigt sich in der Verdrängung der Vergangenheit. Ganz gleich, wie es uns heute geht, es wäre nicht gut ohne das Erbe des Erlebten.


Aber, meint Anna, das können wir doch alles sagen, vor der Kamera. Aber, denken wir, das will doch keiner mehr wissen . An diesem Abend geht es uns nicht besser als vor 20 Jahren.

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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