Kosmetik ist aller Booster Anfang

Anglizismus des Jahres "Boostern" ist das neue Pimpen, und die Begründung der Anglizismus-Jury lässt Sprachkritik klingen wie eine Kampganen-Auffrischung.

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Dieser Wahl ist die beste Wahl eines "Anglizismus des Jahres". Denn über diese Entscheidung lässt sich kurz vergessen, wie unbefriedigend die in die Jahre gekommenen Wortwahlen aller Art längst sind. Sie stehen im Bemühen um Korrektheit allem im Weg, was über Originalität oder Entlarvung zu einer Art Erkenntnis führen könnte. Denn Kritik genügt sich darin, auf etwas zu zeigen, das entweder sehr richtig ist oder sehr falsch. Das ist zwar bei "boostern" nicht anders. Dennoch!

Anders als das eindeutig aus dem Englischen entlehnte Substantiv sei das Verb wahrscheinlich eine deutsche Eigenkreation, heißt es in der Pressemitteilung der Jury um den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. Das Substantiv booster shot stehe für "Verstärker-Impfung“, und das klingt ja nun wirklich nicht griffig. Das dazugehörende Verb laute eigentlich "to boost", seit Anfang Januar finde sich aber "to booster" häufiger im Englischen. Was für ein Booster fürs Selbbewusstsein der "deutschen Sprachgemeinschaft", denn die "hat hier also deutlich vor der englischen Sprachgemeinschaft ein Potenzial des Englischen erkannt und für sich genutzt".

Zu woke, um klar zu sein

Für sich? Eher für eine Idee. Das verrät ein Blick auf die Finalisten: "Long Covid", "QR-Code", "cringe", "woke". Alle irgendwie nur das Grün um die Blüte. "Boostern" dient ausschließlich dem Guten und klingt dabei nur halb so infantil wie "Piks" und bei weitem nicht so prollig wie "pimpen" oder - schon hat man eine patente Person mit fescher Frisur vor Augen: "aufpeppen". Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache würde boostern, wenn es ums Anregen, Verstärken, Vergrößern geht, nur zum Beispiel einer Immunreaktion.

Kosmetik war aller Booster Anfang. Lippen und Wimpern lassen sich schon lange boostern. Produkte wie "Natucollagen Boost Volumen-Lippenserum " und "Mascara med Ultra Boost" boostern ihrerseits das Business und überhaupt das Wohlbefinden, sofern sich das aus einem Plustern und Blähen speist, wie es auch alle Sprachmoden belebt.

Sprachkritik als Kampganen-Booster

Noch wichtiger als der Text darf die Botschaft sein, noch wichtiger als der Klang der Beiklang. Anders als das Wort "Auffrischungsimpfung" ermögliche, so die Jury, "boostern" in der "anhaltenden Pandemie eine knappe und trotzdem eindeutige Kommunikation". Denn schnell muss es gehen, wenn die Labore nicht mehr nachkommen, von Bund und Ländern ganz zu schweigen. Zum Zweiten liege die Betonung - Achtung, Botschaft: "auf der Vergänglichkeit des Impfschutzes – geboostert sind wir nur, solange die Schutzwirkung der Auffrischungsimpfung noch ausreichend hoch ist." Sprachkritik als Kampganen-Booster.

Drittens ist ein so schönes Wort sich selbst ein Spiegel. Es habe "einen optimistischen und dynamischen Beiklang", schwelgt die Begründung, "an den die Auffrischung einfach nicht heranreicht". Es wäre nicht gerecht, der Jury an dieser Stelle freiwillige Satire zu unterstellen. Denn beim Impfen hört der Spaß natürlich auf, was zu interessanten Effekten führt. Da nicht lustig sein kann, was nicht gesagt werden darf, sammelt sich das Komische im Beiklang des Gesagten. Oder wie es heute heißt: Der Irrwitz boostert den Witz.

Bisherige Anglizismen des Jahres waren leaken (2010), Shitstorm (2011), Crowdfunding (2012), die Nachsilbe -gate (2013), Blackfacing (2014), Refugees Welcome (2015), Fake News (2016), Influencer (2017), Gendersternchen (2018), …for future (2019), und Lockdown (202o). (Quelle:www.anglizismusdesjahres.de)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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