Balz auf dem Vulkan

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Sebastian Hartmann stemmt in Leipzig einen imposanten "Zauberberg" auf die Bühne des Centraltheaters. Und seilt sich daran ab. Am 6. November war Premiere – mit Jubel für die Darsteller und viel Applaus fürs Team.

Die Ewigkeitssuppe kocht auf großer Flamme. Das zischt und duftet. Naphta und Settembrini kreisen um eine Gulaschkanone wie Obdachlose um die Feuertonne. Einer nach dem anderen seilen sich Hans Castorp, Vetter Ziemßen, Hofrat Behrens, Dr. Krokowski und Madame Chauchat vom Irgednwo ab und bringen Öl, Fleisch, Möhren, bringen Petersilie, Kohlrabi, Kartoffeln für ein Kochduell, eine Küchenschlacht, in der die beiden Mentoren zunächst schweigend ihre intellektuellen Suppe rühren, bevor sie, „wo waren wir stehen geblieben?“, über Geist und Krankheit, Elend und Menschsein, Religion und Krieg disputieren.

Wobei hier weniger Philosophie im Mittelpunkt steht, als Hass oder Wut aufeinander, die Welt, auf die Vergeblichkeit aller Theorie. Der eine löscht mit Wasser ab, der andere mit Wein. Unversöhnlich wuchten sie die Sätze, bis alles Gesagte gegen die Wände des Ungesagten kracht. Das kann kein Echo geben. Eigentlich öffnent die Gegenwart ihre Türen doch weit für die Botschaften dieses Bildungsroman. Oder die Parodie darauf. Was haben wir mehr als die Zeit, dagegen anzurennen, keine Zeit zu haben? Was haben wir weniger als eine Anschauung des Todes und eine nahe Zukunft ohne Krieg?

Doch in diesem Mittelstück des dreiteiligen Abends scheint Regisseur Sebastian Hartmann Distanz zu suchen zu Visionen. Überraschend Text-reich und Text-treu sucht er zwar die Nähe zu Thomas Manns 1000-Seiten-Roman, will den ironischen Pfaden folgen und den Aufstieg in intellektuelle Höhen wagen. Doch in all dem Lärm bleibt kaum nachvollziehbar, was die Finesse des Humanisten Settembrini ausmacht, was den mit Aplomb politisierenden Naphta treibt. Peter René Lüdicke und Ingolf Müller-Beck bekommen wenig Spielraum, die Profile ihrer Figuren zu schärfen.

Hier droht auseinander zu fallen, was sich zu Beginn und gegen Ende des fünfstündigen Abends als zwar mehr originelles als hintergründiges, doch meist geschlossenes Ideenwerk zeigt. Hier präsentiert sich die Lesart als Entwurf, unentschieden, wer eigentlich woran krankt. Gleichwohl gibt es reichlich Angebote, den Kopf zu heben.

Der Gipfel ist natürlich nie zu sehen. Nur Wände. Steile, schräge weiße Wände hat Hartmann auf die Bühne gewinkelt, in der es also keine Tiefe gibt und keine Höhe. In dieser Beklemmung zählt der Moment, und so haben er und Dramaturg Uwe Bautz wohl ihren „Zauberberg“ gelesen: als einen Weg ohne Ziel. Da ist die Abgeschiedenheit des Sanatoriums unter dem Himmel über Davos in keinem Moment Idylle, jedoch nicht ohne schicksalhafte Seeligkeit.

Der Abend beginnt mit deftiger Ironie. Wie Maximilian Brauer als Vetter Joachim Ziemßen dem eintreffenden Hans Castorp (klar, er darf auch einmal Castorf heißen, „Frank!“) den Alltag in der Klinik erklärt, mag überdreht erscheinen, doch zeigt sich in den nächsten Stunden, dass der Kalauer-Slapstick des begnadeten Schauspielers zu den besten Szenen zählt. In den leider wenigen stillen Momenten zeigt er zudem eine beeindruckende Präsenz jenseits des Körperlichen. Auch Guido Lambrecht nimmt sich den Raum, Ambivalenzen auszuspielen, die Anziehungskraft des Todes mehr als anzudeuten.

Überhaupt sind es die schauspielerischen Leistungen, die den Abend tragen. Auch Birgit Unterweger und Matthias Hummitzsch rufen in Erinnerung, wie verletzlich die Haut einer Rolle sein kann, wie beglückend das Wort, wo es mit Bedacht gesprochen. Wenn das Humor-Verständnis Hartmanns Gefahr läuft, ins Zynische zu kippen, suchen sie mit souveräner Gestaltungskraft Balance. Wobei die Frauen wie immer kaum Gelegenheit dazu bekommen. Auf hohen Absätzen und in schönen Kleidern durchs Bild gleitend geraten sie zur Staffage. Bis auf Unterweger eben, die als Medium Ellen Brand den Schneetraum Castorps aus sich heraus zittert, schüttelt, katapultiert und dabei nahebringt, was es heißen kann, dem Leben verloren zu gehen.

Hartmann illustriert seinen Flirt mit Liebe, Tod und Teufel nicht mit detaillierten Innenporträts all der aus der Zeit Gefallenen. Vielmehr wählt er eine große Geste der Verlorenheitssehnsucht, zu der Steve Binetti am Bühnenrand den balladesken Soundtrack liefert. Nach einer Balz auf dem Vulkan, einem Ringkampf zwischen Liebe und Wollust, Geist und Natur - regnet es Asche, bevor schlussendlich eine Schneelawine alles begräbt.

Schluss? Momentchen noch ... Noch einmal steigt die Fieberkurve, und alle schicken Castorp in den Krieg.


Mit: Rosalind Baffoe, Manolo Bertling, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Matthias Hummitzsch, Janine Kreß, Guido Lambrecht, Ingolf Müller-Beck, Peter René Lüdicke, Birgit Unterweger.

Regie: Sebastian Hartmann
Bühne: Sebastian Hartmann, Clementine Pohl
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musik: Steve Binetti
Dramaturgie: Uwe Bautz.

www.centraltheater-leipzig.de

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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