Die Revolte erstickt im Girlanden-Dickicht

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Am 15. Oktober feierte am Leipziger Centraltheater die Inszenierung "Büchner/Leipzig/Revolte" Premiere. In knapp anderthalb Stunden zeigt Regisseur Thomas Thieme die Vergeblichkeit von Revolten als Wiederholung der Geschichte. Auf der Grundlage von Büchners "Woyzeck" geht es ihm dabei auch um die soziale Ohnmacht des Menschen, Unterdrückung und Demütigung. Dass er mehr Fragen stellt, als Antworten zu behaupten, macht ihn glaubwürdig.

Der Vorhang fällt nicht. Auch kein Schuss. Gewalt verpufft im Ungefähren. "Ich bin ein Mörder? Guckt Euch doch selber an", ruft Woyzeck und das Licht erlischt. Das Publikum im ausverkauften Saal applaudiert zögernd; es gibt ein Buh und wenig Jubel. Die Irritation ist geglückt, die Provokation gelungen. Dass der Schauspieler Thieme in seiner Gastrolle als Regisseur dafür weder nacktes Fleisch noch Lärm noch Orgien bemüht, steigert das Vergnügen. Er teilt den kurzen Abend in drei Teile, denen Büchners "Woyzeck" gleichermaßen zugrunde liegt, wie alles auf ihn zuläuft.

Am Anfang steht die Unzufriedenheit, steht ein Schwarz-weiß-Kurzfilm in gelassener Roadmovie-Ästhetik. Tagebaulandschaften gegen Konsumtempel geschnitten zeigen den Frieden der Hütten, Krieg der Paläste. Ein junges Paar (Manolo Bertling und - überwältigend - Henrike von Kuick), enttäuscht vom Zustand der Gesellschaft, hoffnungslos aber nicht ohne Visionen, greift zu den Waffen und schießt dann doch - auf einem weiten Feld - ins Leere. "Geht es Dir nun um die Sache, oder geht es Dir nur um Dich?", fragt sie ihn und übernimmt die Führung, weil sie weiterdenkt. Die Bilder von einer Leipziger Montagsdemonstration führen in den konkreten Spielraum der Revolutionen, wobei es Bilder vom 9. Oktober 2009 sind, von jenem "Lichtfest" ohne Forderungen, allein mit der Botschaft des Erinnerns. Wo die Barrikaden nichts anderes waren, als Sperrung der Zufahrtsstraßen. Wird die einzige friedliche Revolution der Geschichte die letzte bleiben? Der jüngste Leerlauf für Ideale? Schnitt.

Was kann dem folgen? Thieme lenkt den Blick zurück auf das, was dem vorausging. Ungerührt ist ein Männerchor der Betagten, eine alte Garde aus Komparsen im Rentenalter "Auferstanden aus Ruinen" (alle Strophen). Spaniens Himmel breitet seine Sterne über unsre Schützengräben aus und Thälmann ist niemals gefallen. Jetzt entfaltet das Bühnenbild seine ganze Ironie. Aus dem Schnürboden hängen Gold-Girlanden dicht an dicht, man sieht den Glanz vor Glitter nicht. Mit Henrike von Kuick betritt die erste Schauspielerin die Bühne, "Unsere Heimat", singt sie mit Kinderstimme, "das sind auch all die Bäume im Wald" und die Jüngeren im Publikum glucksen dankbar über diesen Bruch, der wohl keine Parodie sein will, sondern ein Verweis auf diese Lächerlichkeit guten Gewissens.

Doch die 30 Alten, sie geben keine Ruhe. Der kleine Trompeter muss noch sterben, die Fahne getragen werden, hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft hervor. Nicht auszuschließen, dass in einer Sonntagnachmittags-Vorstellung im Saal mitgesungen werden würde. Weil die Komik des Moments auch etwas Trotziges hat, ein Da-sind-wir-aber-immer-noch die Brust bläht. Mit jeder Strophe wächst die Bedrohung, die von diesem kollektiven Liedgut ausgeht - wegen des totalitären Machtanspruchs, von dem sie künden. Das Volk, es ist ja als Bevölkerung nicht revolutionär.

Da kommt die Macht ins Spiel, sie kreist um Woyzeck. Den spielt Jimmy Hartwig, der Ex-Profifußballer, der in Thiemes "Baal" in Weimar zu sehen war und dessen "Margaretha di Napoli ". Er steht tatsächlich "auf seinen Füßen wie ein Löw", den ganzen dritten Teil hindurch, aus dem Boden gewachsen mit ungeheurer körperlicher Präsenz, nicht mehr am Leib als Unterwäsche, Socken, Stiefel. Sein weißes Hemd muss keine weiße Weste sein. Verwundet ist er, und gedemütigt. Mit den Fäusten möchte er es greifen können, doch sein Hessisch hält ihn in Gemütlichkeit.

Thomas Lawinky gibt den Hauptmann, hier ein Spanienkämpfer, Hitlerjunge, Stalinist, mit dem spröden Charme der Zukurzgekommenen. Er findet Ruhe in seinem Verhörkeller, von wo aus er den Mädchen unter die Röcke lugt. "Ich habe doch immer alle Menschen geliebt", greint er später. Lawinky differenziert den Kleingeist seiner Figur, was den Kontrast schärft zum zynischen Doktor, den Hagen Oechel als gefährlich eleganten Sadisten charakterisiert. Thieme konzentriert die Figuren seines Kammerspiels auf fünf Schauspieler. Manolo Bertling bleibt als Andres eine Randfigur. Auch Barbara Trommer als Marie, die sie zurückhaltend anlegt und ein bisschen lüstern. Da werden keine Erbsen gezählt, Eifersucht ist nur Begleiterscheinung. In einer Welt, die leer ist "wie ein umgekippter Hafen", mischt Büchner sich mit jüngerer Geschichte. Wann ist eine Zeit reif, wann ein Volk, überlegen die Genossen im zum Wald verdunkelten Girlanden-Dickicht.


Kein Messer braucht Woyzeck, um Marie zum Schweigen zu bringen - er hält ihr einfach den Mund zu. Kein Schuss. Kein Vorhang. Die Idee wird zur Gewalt.



mit: Manolo Bertling, Jimmy Hartwig, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Barbara Trommer, Henrike von Kuick u.a. sowie dem Projektchor Büchner/Leipzig/Revolte

Regie: Thomas Thieme
Ausstattung: Katrin Brack
Musikalische Leitung: Erik Schober
Licht: Ralf Riechert
Video: Nikolai Ebert
Dramaturgie: Anja Nioduschewski

www.centraltheater-leipzig.de

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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