Einfallendes Licht

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Ab jetzt erwachsen … Der wichtigste Tag … Verantwortung … So hören das die Pubertierenden seit über 150 Jahren. „Die Jugendweihe dokumentiert für Euch, dass die sorglose Kindheit sich dem Ende neigt“, sagt der Bürgermeister von K. an diesem Samstag. Tränen glitzern. Bei den Müttern. Am Ende rücken die Mädchen und Jungen der 8a und 8b fürs Erinnerungs-Foto auf der Rathaustreppe zusammen. Die Dorfjugend steigt vom Rad und schaut. 33 von 40 Schülern haben sich für diese Variante entschieden, das Erwachsenwerden zu feiern. Das könnte den DDR-Quoten entsprechen.


Hier, kurz hinter Leipzig, heißen die Straßen nach August Bebel und Ernst Schneller. Im Rathaus sind auch Heimatmuseum und Polizeiposten untergebracht. Wer in den Festsaal unterm Dach will, muss an einem Gemälde vorbei: Licht fällt in einen finsteren Wald. Dort oben stehen nun alle verfügbaren Stühle des Hauses, und es ist zum Glück kein heißer Tag. Die lieben Verwandten tragen ihre guten Sachen auf, manche wagt ein paar Pailletten.

Seit 1993 wird die Jugendweihe nicht mehr von den Schulen organisiert. In K. übernimmt es eine Initiative zur Kinder- und Jugendförderung. Da mag manches nicht so professionell organisiert sein, wie es der Jugendweihe-Verband leisten kann, dafür ist von der Begrüßung bis zur Blümchen-Deko alles sympathisch selbstgemacht und überdies sehr persönlich mit den Showeinlagen ortsansässiger Tanz- und Singgruppen im Geschwister-Alter.

Was beide Veranstalter verbindet: Sie laden gern Kabarettisten ein, um den Ernst der Stunde etwas aufzubrechen. In K. ist es zum zweiten Mal Academixerin Anke Geißler, die in der Rolle eines trinkenden Lehrers die Schüler auf ihrer Seite hat und mit der Mutter-Figur dann die Eltern. In der Festrede zitiert sie aus eigenen Zeugnis-Beurteilungen ein sich Jahr für Jahr wiederholendes Mantra: Ermahnungen, ihr Temperament zu zügeln. Sie ermutigt die Jugend von heute: „Ihr seid, wie ihr seid. Lasst Euch nicht beirren!“ Das wurde in den 80ern erst nach dem vierten Apfelkorn gesagt, als der Opa längst die Krawatte abgelegt hatte.

Seinerzeit waren die Kleider selbstgenäht und bodenlang, die Anzüge aus der Jugendmode. Heute gehen die Mädchen kurz und knapp, die Jungen mit Kapuzenpulli unterm Jackett. Natürlich hätte ein Bürgermeister damals nicht so viel von Selbstverwirklichung gesprochen, hätte wohl kaum vor allem „Kraft“ gewünscht, „zu lieben und geliebt zu werden“. Auch er zieht Ermutigungen Ermahnungen vor. Heute wie damals hören die Achtklässler zu oder lassen es bleiben, erröten oder erbleichen, kichern, kaspern, einer gähnt.

Die nächste Zäsur gibt es erst wieder mit 40 Jahren. Dann, sagt Geißler, „könnt Ihr Bundespräsident werden“.

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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