Emanzipation der Erdbeere

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Die künstlerische Leiterin der 13. documenta überrascht in einem Interview mit der Kunst der Irritation. „Die kulturelle Produktion der Tomatenpflanze ist die Tomate“, sagte Carolyn Christov-Bakargiev. Und dabei bleibt es nicht.

In Thomas Langs Roman „Jim“ sind wir ihm gerade begegnet: dem Orang-Utan, der Bilder malt. Nun, nicht richtig malt. Vielmehr ist es so, dass er die Hand – oder sagt man Pfote? – in Farbe taucht und dann aufs Papier bringt, was nicht danebengeht. Was dabei entsteht, ist zwar keine Kunst, ließe sich aber als Kunst verkaufen. So viel zur Fiktion. Realität ist die 13. documenta und ihre Chefin Carolyn Christov-Bakargiev, die in der Süddeutschen Zeitung vom 31. Mai ein Wahlrecht für Tiere und Pflanzen nicht ausschließt.

Das Interview beginnt verhalten: „Ein Bienenstock oder ein Spinnennetz sind funktionale künstlerische Elemente der irdischen Kultur, die eine Form gefunden haben“, sagt die Italo-Amerikanerin. Doch dann kommt sie über den höheren Sinn des Bienenstocks und die Sprache der Krähen auch schon auf Hund und Beere: „Die Frage ist nicht, ob wir Hunden oder Erdbeeren die Erlaubnis zum Wählen erteilen, sondern wie eine Erdbeere ihre politische Intention vorbringen kann.“ Ja wie? Die Antwort gibt es nicht. Auch keine Informationen, ob Erdbeeren noch woanders als auf der Dessert-Karte wählbar sein sollten.

Christov-Bakargiev plädiert dafür, Tiere und Pflanzen zu „emanzipieren“, weshalb sie beispielsweise keinen „grundlegenden Unterschied“ zwischen Frauen und Hunden zu sehen vermag. Zwischen Männern und Hunden übrigens auch nicht. Es kann also gut sein, dass die 13. documenta die vorerst letzte für Menschen ist, denn Beeren und Hunde haben ja einiges aufzuholen. Von Gurken und Schmetterlingen, Blumenkohl und Krokodilen mal ganz zu schweigen.

Das Zusammenspiel von Politik und Feldfrüchten hat Kurt Tucholsky schon 1926 öffentlich gemacht und dafür, es kann heut kaum mehr überraschen, die Gedichtform gewählt. Da sah er „Suppenkohl in allen Arten/ im Kompost der Republik“. Da blühen die Sozialdemokraten

"so harmlos, doof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.“

(Noch hat die Titanic sich nicht zu dem Interview bekannt.)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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