Bei den Leipziger academixern feierte am Sonntag das Programm „Erwischt“! Premiere - mit neuem Pianisten, neuem künstlerischen Leiter und einer Idee, in welche Richtung sich Kabarett entwickeln kann. Oder muss?
Wer heute ins Kabarett geht, hat alles schon gesehen und gehört. Fernsehen, Radio, Internet informieren nicht nur rund um die Uhr, es gibt auch keine Grenzverletzungen mehr. Alles darf überall von jedem gesagt werden. Und? Für die Ost-Kabaretts kann das den Verlust ihrer Existenzberechtigung bedeuten. Darum flüchten manche sich in Spaß um des Spaßes willen. Andere nehmen die Politiker beim Wort, um es ihnen dann im Munde umzudrehen. Beides verlangt nicht viel von mir, dem Publikum. Und manche schreien schon: Es stirbt, das Kabarett! Die Frage aber ist nur: Welches? Die Welterklärer? Die Hau-den-Lukas-Witzbolde?
Georg Schramm beweist in „Neues aus der Anstalt“, dass es durchaus goutiert wird, Politiker und Politik ernst zu nehmen bis zum Erbrechen, Zusammenhänge herzustellen, ohne eine Westerwelle-Maske aufzuziehen. Die Narrenkappe ohne Narr ist auch nicht lustig. Dennoch hätte Schramms Anstalt sicher weniger Erfolg gehabt ohne Urban Priol, das Wechselbad ist wichtig, ein bisschen pure Wahrheit, ein bisschen Wortwitz, eine Prise Comedy. Auch Schenkelklopfer-Boni dürfen sein – wenn's gut gemacht ist. Und dass Schramm sich aus der Sendung zurückzieht, um wieder Zeit und Kraft für die Bühne zu haben, mag für vieles sprechen, aber nicht für Kabarettverdrossenheit.
Die academixer suchen mit ihrem Spielplan einen neuen,zeitgemäßen Weg zum Publikum, indem sie zum Beispiel auch theatrale Mittel einbeziehen. Da werden Formen ausprobiert, stehen klassische Ensemble-Programme neben Solo-Abenden, spielt das Musikalische eine wichtige Rolle. Nur mit den Texten ist es (wie ja überall) mitunter wie angestemmt, sie wirken wie von der Demokratie gelähmt. Das Kreuz mit dem Markt als neuer Diktatur der Kleinkunst ist, dass er sich nicht so gewitzt austricksen lässt wie Zensoren mit gesellschaftspolitischer Ambition.
Mit seiner Inszenierung des neuen Programms „Erwischt“ legt Regisseur Holger Böhme sich nicht fest, nicht auf poltisches Ich-sag's-Euch-mal, nicht auf Klamauk. Sein Thema ist der Einzelne als Spiegel der Gesellschaft. Die Texte kommen aus dem Ensemble (Anke Geißler, Ralf Bärwolff, Ekky Meister), von mit Leipzig vertrauten Autoren (Conny Molle, Heinz Klever) und bekannten Kollegen wie Peter Ensikat, Holger Paetz oder Dietmar Jacobs (der auch für Thomas Freitag schreibt). Grob gesagt geht es um Verarmung, Feigheit, Bildungssystem, wirtschaftliche Vernetzungen, EU-Beamte, Pflegenotstand, Bestechlichkeit, Steuerbetrug, Neonazis, Nachbarschaft und die Liebe zum Hund ganz im Gegensatz zur Liebe zum Kind. Da hat es manchen bereits voll erwischt, andere werden es. Und die Moral von der Geschicht ist, dass sich nicht so schnell was ändern wird, denn der Mensch ist schwach. Und seine Schwäche macht ihn komisch.
Bei „Erwischt“ gewinnen die Charaktere in Gewinner-Verlierer-Konstellationen über das Erzählte hinaus Profil gewinnen durch Gestik, Mimik, Macken. Kostümwechsel oder Slapstick setzt Böhme sparsam ein und schiebt dennoch das Typenkarussel kräftig an. Im Knast liegen sich Westerwelle und Schäuble in den Haaren, in Anwesenheit der Ahnungslosen Brüderle und von der Leyen (natürlich aktuell zur kurzen Bundespräsidentinnenanwärterinnenschaft befragt). Bis Mutti Angela kommt, um sie da raus zu holen. Auf einem Spielplatz übertrumpfen sich Drittklässler in ihrer Cleverness beim Schulwechsel – der älteste von ihnen ist 52. Bei einer Versteigerung wir die Ansiedlung eines High-Tech-Gen-Labors mit 250 Arbeitsplätzen verschachert - zum Preis der Abschaffung sozialer Errungenschaften.
Da verbringt eine Familie ihren Urlaub im abgedunkelten Wohnzimmer, wo sie sich vor den Nachbarn verschanzt, um nicht eingestehen zu müssen, dass sie sich den Urlaub in Mexiko nicht mehr leisten kann. Derweil weilen eben diese Nachbarn statt auf Mauritius in ihrer Sitzecke („Kopf runter, Gardine zu,Radio aus!“). Doch eigentlich ist alles noch viel schlimmer, die neue Mitte droht im Rand der Gesellschaft aufzugehen. Anke Geißler und Thomas Martin sowie Carolin Fischer und Ralf Bärwolff – die vier Protagonisten des Abends – spielen die Illusion der beiden Wohngefängnisse mit nur zwei Stühlen als Requisiten auf der kleinen Bühne. Keine Wände, kein Klimbim. Und der Dresdner Schauspieler Thomas Martin, der nach nur wenigen Proben für den verletzten Peter Treuner eingesprungen ist, zeigt sich von Anfang an souverän im für ihn neuen Metier, nur bei den Liedern hält er sich zurück.
Überhaupt ist das aus darstellerischen Einzelleistungen sich fügende Zusammenspiel der Akteure eine der Trumpkarten im Art-Deco-Keller, in dem seit knapp einer Woche ein neuer künstlerischer Leiter das Konzeptionelle im Blick hat: der Schauspieler Frank Voigtmann, zuletzt hier mit seiner Inszenierung „Delikatessen – die finale Kochshow“ erfolgreich. Auch er scheint solides Spiel den schnellen Effekten vorzuziehen.
Was die academixer sich verkneifen, ist die platte Schuldzuweisung, persifliert im Lied „Die da oben“. Die sind an allem Schuld, an roten Ampeln, langen Wintern, Knöllchen ... Eine ironische Mentalitätskritik, dazu perfekt verpackt in einem Satzgesang, wie es ihn auf Kabarettbühnen selten zu hören gibt. Die Kompositionen der Lieder und Zwischenmusiken von Ekky Meister, Jörg Leistner und Christoph Schenker sind so besonders wie ihre Titel („Ameise am Freitag“, „Katze in Aspik“), exzellent gespielt von Schenker am Cello und Enrico Wirth am Klavier. Der ist in Leipziges Kabarett-Szene kein Unbekannter, hat auch viele Jahre Johannes Kirchberg begleitet, seinen Einstand als neuer Mixer-Pianist nun mit Bravour bestanden.
Das Konzept geht auf, auf dem Krisenherd kochen das eigene Süppchen und auch der große ganze Eintopf. In Leipzig, wo fünf Kabarett-Häuser täglich um Publikum kämpfen, gehört diese Kulturform traditionell zum Alltag, und darum auch der Alltag auf die Bühne. Hier kann man sich nicht nur beim Lachen erwischen lassen, sondern eben auch beim Denken.
Zur Premiere gibt’s dafür vom Premieren-Publikum reichlich Beifall und Bravi - mehr noch für die Darestellerals für die Regie. Aber, wie gesagt, der Weg ist neu, es gibt womöglich keinen anderen.
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Anke Geißler (oben), Carolin Fischer, Thomas Martin (links) und Ralf Bärwolff
Foto: Peter Eichler
Kommentare 9
Liebe Kay Kloetzer,
sehr schön reflektiert und hintergründig geschrieben, das macht neugierig auf das neue Programm der Academixer. Übrigens sehen die Vier schon so aus, als ob sie's könnten.
Die „Delikatessen – die finale Kochshow“ erinnern mich mit „Ameise am Freitag, Katze in Aspik“ ein wenig an "Das letzte Paradies", Komödie von André Müller, veröffentlicht 1973 vom Eulenspiegel-Verlag.
Dieses Paradies schaffen sich wenige erlesene Zoodirektoren bei diskreten Treffen, um ganz besonders exklusive Tiere zu brutzeln und aufzufressen. Eine schöne Analogie zur BRD Anfang der 70-er Jahre und deren politische Zoodirektoren, die sehr viel Neues zu verdauen hatten.
Sah ich 1977 in der Freien Volksbühne, inzeniert von Benno Besson, falls ich nicht irre.
Danke.
Wie immer herrlich zu lesen deine Rezension. Dazu eine sehr treffende Analyse des Zustandes des Kabarett. Herrn Schramm finde ich ja auch Spitze. Auch Hagen Rether gehört für mich zu denen die mal neue Wege gehen.
Das Problem des politischen Kabarett ist einfach, dass die politische Realität viel absurder ist, als jeder politische Witz.Wie will man sich über Zyniker lustig machen. Da geht Schramm schon den richtigen Weg und nimmt sie eim Wort, nimmt sie auseinader und spricht den Subtext aus. Manchmal allerdings tut das so weh, dass mein Lachen versagt. Manches von Schram kann ich mir nur in Portionen ansehen.
Aber ich glaube, ich muss wirklich mal nach Leipzig ;)))
lieber weinsztein,
das klingt vielversprechend, "das letzte paradies", es gab schon sehr gute autoren und komödien, und ich hoffe sehr, dass bald wieder so richtig gutes kommt, jetzt, da weniger mut nötig ist als handwerk und ne verdammt gute idee.
liebe grüße
kk
lieber KalleWirsch,
darum bin ich sehr gespannt, was schramm in seinem neuen bühnenprogramm macht. auch wenn er mir im fernsehen fehlen wird. schon das finde ich übrigens klasse: dass er nicht beides halb versucht, sondern sich auf eines konzentriert, um das ganz zu machen. zumindest habe ich das so verstanden, dass er damit seinen rückzug aus der anstalt begründet.
liebe grüße
kk
"Das Kreuz mit dem Markt als neuer Diktatur der Kleinkunst ist, dass er sich nicht so gewitzt austricksen lässt wie Zensoren mit gesellschaftspolitischer Ambition."
Ach ja, Du sagst immer so schöne Sachen. Aber ich meinte nicht nur das. War interessant und spannend zu lesen.
"Was die academixer sich verkneifen, ist die platte Schuldzuweisung, persifliert im Lied „Die da oben“
Das ist gut, weil das noch mehr entpolitisiert.
Mir fiel außerdem der alte Werner Schneyder ein: "Das Kabarett ist tot"
Fortsetzen könnte man es mit: "Und es geht und geht nich ein".
"zumindest habe ich das so verstanden, dass er damit seinen rückzug aus der anstalt begründet."
Ich denke so ist es. Schramm ist auch schärfer als Priol, politisch gesehen.
"Grob gesagt geht es um Verarmung, Feigheit, Bildungssystem, wirtschaftliche Vernetzungen, EU-Beamte, Pflegenotstand, Bestechlichkeit, Steuerbetrug, Neonazis, Nachbarschaft und die Liebe zum Hund ..."
also um alltag und nachbarschaft, nicht um die sparsamen da oben ohne alles. nicht ums system, sondern um konkretes, für jedes publikum verständliches, goutierbares oder?
ach was, liebe kk, ich frotzel nur ein bisschen rum. von leipzig kenne ich gar nichts. doch. als ich zehn oder so war, hatte ich ein briefmarkenalbum und darin unter anderem eindrucksvolle briefmarken über die leipziger messe.
schramm kenn ich vom fernsehen.
mich dünkt, das politische kabarett ist teil des systems wie die opposition im parlament. mein mann auf der bühne ist volker pispers. aber schramm ist manchmal vielleicht wirksamer, weil theatralischer.
doch, lieber h.yuren, genau ums system geht es, also hier um die auswirkungen, die es konkret hat. nur eben nicht mehr so umstandslos verbal fassbar durch das pure nennen eines namens. sondern durch das ein mal um die ecke durchdachte umlegen aufs persönliche. das ist natürlich nicht immer so brüllend komisch wie die schuldzuweisung, weil es in den eigenen wunden schmerzt. für mich ist das das kabarett der nahen zukunft.
liebe grüße
kk
Lieber h.yuren,
meine Männer auf der Bühne sind Volker Pispers und Georg Schramm.
Urban Priol finde ich witzig, das ist doch auch mal was.