Gottschalk sitzt der Jauch im Nacken

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Nach 23 Jahren moderiert Thomas Gottschalk zum letzten Mal „Wetten, dass …?“ Es sagt nicht, dass es die letzte Sendung ist, sondern bringt Günther Jauch ins Gespräch.


Das erste wirklich wahre Wort fällt schon in der ersten Stunde: „Sie hat nachgezogen und im Abgang nochmal so ein Blubbern verursacht.“ Dies sagt der zweite Wettkandidat, ein seriöser Herr mit Doppelnamen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Toilettenspülungen am Geräusch zu erkennen. Und natürlich meint er die Spülung, nicht die Sendung.

In der vierten Wette lernt der Thomas eine Kandidatin kennen, die mit ihm durchbrennen möchte. Sie erkennt alle seine Outfits, kann Sendedatum und Ort nennen. Die Szene gipfelt in einem Kuss, und die Sendung erreicht ihren ersten Tiefpunkt. Die Wette jedenfalls ist gewonnen. Der Einsatz wäre der gleiche gewesen wie bei allen anderen Wetten auch: Günther Jauch trägt in „einer der nächsten Sendungen“ Gottschalks blauen Anzug plus Leopardenschuhe, schlüpft quasi in dessen Schuhe, um in dessen Fußstapfen zu treten.

Das lässt deshalb aufhorchen, weil Jauch zuvor nach einer Art Antrag versprochen hat, sich bis Sonntagabend zu überlegen, ob er Gottschalk beerbt. Die Antwort wolle er ihm im Jahresrückblick „Menschen, Bilder, Emotionen“ live auf RTL geben. Überdies ist Gottschalk sich nicht zu schade anzumerken, dass sie beide die letzten zwei Moderatoren in Deutschland seien, „die mit ihren Sendungen so verwachsen sind“. Orakel-Theater vor zwei möglichen ernsten Hintergründen: Es stimmt nicht. Oder es stimmt.

Beides wäre schade. Für Jauch und für die Sendung. Denn die durchaus unterhaltsame letzte Ausgabe mit Gottschalk als Spielführer hat deutlich gemacht, warum Schluss sein muss. Der Chef verzichtet auf seine Karten, „ich mache Freiflug, ist eh Wurscht“, so wie er „10, 12 Jahre ohne Karten moderiert“ hat. Bis irgendjemandem beim ZDF auffiel, dass er einen Gast nicht kennt. Aus vergleichbaren Befürchtungen wohl wurde ihm Michelle Hunziker an die Seite gesetzt.

Die lässt es sich nicht nehmen, in einem selbstverfassten Gedicht irgendwas auf Lockenstab zu reimen. Was Jauch verführt hinzuzufügen: „Wir rockten hier so richtig ab, jetzt suchen wir ein Doppelgrab.“ Am offenen Grab stehen auch: Dirk Nowitzki, Til Schweiger (nüchtern) und Jessica Biel, Karl Lagerfeld und Iris Berben. Den musikalischen Teil steuern Lenny Kravitz und Meat Loaf bei. Eine wilde Mischung wie immer also: ein bisschen Lieblingsgäste, eine Menge „lass und über deinen neuen Film reden“.

Bis auf Frau Biel, die sich pikiert zeigt, über Justin Timberlake sprechen zu sollen, geben sich alle furchtbar freundlich. La Berben hat Handschellen mitgebracht, um den Thommy ans Show-Sofa zu ketten. Was der in schönstem Understatement retourniert: „Es würde mir ja schon reichen,wenn ich Millionen von Zuschauer an die Geräte hätte fesseln können.“ Hören wir hier den wahren Grund des Abschieds? Offiziell hat der Entertainer nach dem Wett-Unfall von Samuel Koch den Rückzug angekündigt. Damals dachten viele: Wird auch Zeit. Inzwischen ist vom Ende einer Ära die Rede.

Was stimmt. Der Abgesang lebt vom Abgesang, von den Einspielern der schlimmsten Anzüge und schönsten Wetten: Bauer erkennt Kühe am Schmatzen , Kinder springen über Seil aus Kaugummi, einer trinkt um die Wette mit seinem Hund Lucky, ein anderer fängt fünf lebende Fliegen mit dem Mund, Kokosnüsse werden mit den Zähnen geschält, ein weiterer Hund apportiert Spielzeuge, ein blinder Junge erkennt Telefonnummern an Tastentönen, das Brustmuskelzucken zweier Freunde verrät 30 Musiktitel ...Und Gottschalk hat wirklich schöne Momente gehabt.

Das braucht kein Mensch mehr. Die Familie, die sich vor dem Fernsehgerät um den kleinsten gemeinsamen Nenner gruppiert, gibt es so nicht mehr. Das wird noch deutlicher im Gespräch mit Ex-Moderator Wolfgang Lippert, Und wurde schon deutlich im Warm up, das das ZDF diesmal live übertragen hat. Da greift sich Gottschalk einen Jungen aus dem Publikum und erklärt ihm, wie es geht: „Das ist das Publikum, solange die klatschen und nicht schlafen, ist alles gut. Links die Wetten, rechts die Showstars. Und wenn du nicht weißt, wie es weiter geht, rufst du Tante Michelle.“

Die Sendung war nicht schlecht, weil Gottschalk etwas gehalten hat: „Eins verspreche ich Euch: Das muss ein lustiger Abend werden.“ 23.04 Uhr bekommt Michelle einen eigenen Blumenstrauß, 23.11 Uhr zwölf leuchtet "Danke Thomas", 23.12 Uhr gibt es stehende Ovationen. 23.14 bis 23.16 Uhr bedankt sich Gottschalk beim Publikum, den Kandidaten und den Kritikern. Er umarmt Günther Jauch und sagt: "Unterhaltung muss man nicht ernst nehmen". 23.17 Uhr ist Schluss.

Wie sagte doch der Toiletten-Kandidat übers Becken gebeugt: „Ah, ganz zarte Nachwelle.“

Erkenntnisgewinn: Jauch isst gern Kuchen, Nowitzki pinkelt im Stehen (und trifft), Schweiger wird Tatort-Kommissar

Gefehlt haben: Frank Elstner und Cindy aus Marzahn

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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