Handverlesen

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Jeder kann mal auf einen Etikettenschwindel hereinfallen. Bei mir muss es so um November ’89 herum gewesen sein. Inzwischen weiß ich, dass nicht immer drin ist, was auf Verpackungen versprochen wird. Umso mehr freut es, dass die fettesten Lügen mit einem Preis gewürdigt werden. Umso weniger aber ist nachvollziehbar, warum so viele die Slogans glauben, die einem Werbe-Texter auf Koks erschienen sein müssen …

Denn dass Kunden das für bare Münze nehmen, bringt Foodwatch so auf die Palme, dass der Verbraucherschutzverein jährlich den „Goldenen Windbeutel für die dreisteste Werbelüge“ verleiht. Der Sieger heißt: „Milch-Schnitte“. Von Ferrero. Das Zucker-Fett-Sandwich ist nämlich überraschenderweise gar nicht so gesund, wie die Spitzensportler es sein sollen, die dafür werben.

Das allerdings kann sich jeder denken, der lesen kann, es steht ja drauf. Und schmecken kann man’s sowieso. Die Finalisten im Rennen um den „Goldenen Windbeutel“ stehen dem in nichts nach. Selbst schuld ist, wer glaubt, dass die „Ferdi Fuchs“-Miniwürstchen von Stockmeyer „der tägliche Beitrag für die gesunde Ernährung“ sein können.

Rasch die Lupe zu Hand genommen und schon lässt sich Gesundheit wie folgt übersetzen: stabilisierende Natriumcitrate treten in einen köstlichen Dialog mit konservierenden Natriumsnitriten. Die Würstchen enthalten zu viel Salz (2 pro 100 Gramm), zu viel Fett (24 Gramm) und überhaupt zu viel Illusion (100 Prozent). Das ist besonders deshalb ärgerlich, weil damit vor allem Kinder angesprochen werden.

Anders verhält es sich mit Danones „Activia“-Joghurt. Der soll die „träge Verdauung“ geblähter Erwachsener wieder in Gang bringen und das „Darmwohlbefinden“ verbessern. Allerdings überbietet „Activia“ natürliche Joghurts vor allem in Preis und Zuckergehalt.

Das ahnt man. Aber hat man eine Vorstellung davon, wie Kühnes „Schlemmertöpfchen Feine Gürkchen“ von einem liebevollen Großmütterchen in ehrenamtlicher Heimarbeit „mit Kräutern verfeinert“ wird? „Handverlesen“ nämlich sind die Cornichons, all das ist „Tradition“, überdies in „Premium“-Qualität. Das „Geschmacksgeheimnis“, lesen wir, liegt in „besonderer Sorgfalt und Hingabe für höchsten Genuss“. Vor allem hat hier ein Lebensmittelchemiker sich hingegeben sowie Farbstoff und Aromen dazu.

Die gewagten Formulierungen verweisen vor allem darauf, dass die Hersteller sehr genau wissen, was die Kunden erwarten. Warum stellen sie es dann nicht einfach her?

(dieses blog ist zuerst erschienen auf www.lvz-online.de)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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